Hollywood statt deutscher Schulwirklichkeit

betr.: „Sprachlose Lehrkörper“, „Lehrer ist nicht mehr der große Zampano“, taz vom 11. 2. 00, „Wenn’s schief geht, sind Pädagogen nicht zuständig“, taz vom 12./13. 2. 00

[...] Über Nacht sind also amerikanische Verhältnisse über unsere Schulen gekommen, denn dann brach eine Welle von Nachahmern (der Tat von Meißen) über die deutschen Schulen herein. Christian Füller weiß, Schüler sind auch hier zu Lande bereit, Lehrer umzubringen. Horror-Szenarien, der Geruch von Blut, das Stöhnen gemeuchelter Lehrkräfte – das ist doch wohl mehr Hollywood als deutsche Schulwirklichkeit: amerikanische Verhältnisse im Drehbuch, das Christian Füller schrieb, das aber die Wirklichkeit so verzerrt, dass man tatsächlich Angst kriegen kann.

Eine saubere Analyse der Ursachen der in vielen Einzelfällen vorkommenden Gewalt fehlt, ebenso wie ein durchdachter Beitrag zur Diskussion, wie man dieser Gewalt begegnen kann.

Claus-Peter Holste von Mutius, Wedel

[...] Die Schwerpunktseite vom 11. 2. 00 und auch die Überschrift zum Hamburger GEW-Kongress in der taz vom 12./13. 2. 00 („Wenn's schief geht, sind Pädagogen nicht zuständig“) hat viele KollegInnen und mich sehr wütend gemacht [...] Die Lehrer, die in letzter Zeit Opfer von Übergriffen waren, werden bei Ihnen zu Tätern, weil sie nicht zuständig sind, sich nicht fortbilden, Unterrichtsmethoden von vorgestern bevorzugen und sich nicht psychologisch beraten lassen. Deshalb darf man sie bedrohen und tätlich angreifen.

Schulklassen von 30 und mehr Schülern, von denen einige gerne zur Schule gehen während andere dazu „null Bock“ haben, werden mit hoch motivierten Teilnehmern von Wirtschaftsseminaren verglichen, denen am Ende eine Beförderung in Aussicht gestellt wird oder die sich doch zumindest eine positive Veränderung ihrer Arbeitsbedingungen davon erhoffen. Leistungsbewertungen und ähnliche Anforderungen, die Schule an Schüler hat, werden als „Eingriff in die Intimsphäre“ der Schüler dargestellt.

Kein Gedanke wird in dem Interview daran verschwendet, dass es neben der Schule, in der die Schüler nicht mehr als maximal 40 von 168 Wochenstunden verbringen, auch noch andere, wesentlich zeitintensivere Sozialisationsinstanzen gibt, die nicht nur mehr Zeit mit den Kids verbringen, sondern auch mehr Rechte haben (zum Beispiel das Sorgerecht und das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern, die Allgegenwärtigkeit der Medien, Peer-Groups, die Kommerzialisierung nahezu aller Lebensbereiche etc.) Lehrer erfahren im schulischen Alltag, dass sie vielfach die einzigen sind, die Kindern Grenzen setzen und auf die Einhaltung von Verhaltensregeln achten.

Ein großer Teil der Erwachsenengeneration fühlt sich angesichts der veränderten Lebenswelt so überfordert, dass sie der Schule komplett die Erziehung der nachwachsenden Generation überlässt und wundert sich, wenn diese dann nicht gelingt. Da scheint die taz-Redaktion keine Ausnahme zu sein.

Der von mir sehr geschätzte Sozialpsychologe Peter Brückner hat schon 1978 sich antiautoritär gebärdende Erwachsene aufgefordert, ihre Rolle als Erwachsene zu akzeptieren und nicht zu „denken, sie könnten gleichsam psychologisch aus einer Bürde und Funktion weglaufen, die sie gleichwohl im Interesse der heranwachsenden Kinder wahrnehmen müssen. Denn diese Welt ist nicht für Kinder gemacht.“

Von einer linksalternativen Zeitung erwarte ich, dass sie sich mit dem gesamten gesellschaftlichen Spektrum von Sozialisation kritisch auseinandersetzt und endlich einmal aufzeigt, wie das Leben von Kindern sich verändert hat. Polemik hilft da nicht weiter.

Edith Zischke-Siewert, Duisburg

Die Äußerungen von Herrn Schwarze haben nur bedingt mit der realen heutigen Schulwirklichkeit zu tun.

Wahr ist, dass Schüler sich „Größe besorgen“, indem sie LehrerInnen provozieren; damit verhalten sie sich aber lediglich gesellschaftskonform.

Aus der Zeit um 1960 datiert Herrn Schwarzes Vorstellung vom Lehrer als großem Zampano. Offenbar glaubt er tatsächlich, die SchülerInnen von heute litten darunter, von LehrerInnen dauernd beurteilt zu werden. Als ob das „Urteil“ einer 42-jährigen Alten (ich, Sonderschullehrerin) oder das eines 36-jährigen Knackers (Kollege O.) nicht mit einem Achselzucken weggesteckt würde! Zumindest in der Förderschule wird es für einen Jugendlichen erst tragisch, wenn die Alpha-Person der peer-group einen vernichtenden Blick auf das Outfit geworfen und ihn/sie damit für nicht satisfaktionsfähig erklärt hat. Dann allerdings dient die Fünf in Geschichte schnell dazu, den Frust auf den Lehrer/die Lehrerin zu schieben.

Weiter behauptet Herr Schwarze, dass „die Lehrer verunsichert“ seien. Wer ist das: Die Lehrer? Alle Lehrer?! Die Lehrerinnen vielleicht auch? Und wenn tatsächlich einige von uns noch weiter verunsichert sein sollten durch die Zunahme von Gewalt (was in der Tat so ist), wem dient dann diese verallgemeinernde, unreflektierte Äußerung von Herrn Schwarze? Ich fürchte, es wird die ohnehin gewaltbereiten Typen weiter ermutigen, denn wenn „das Opfer“ als klein und ängstlich dargestellt wird, trauen sie sich immer mehr. Vielen Dank, Herr Supervisor.

Dass die SchülerInnen den Schulalltag „nicht mehr als zeitgemäß empfinden“, ist unschwer nachzuvollziehen, denn die meisten Jugendlichen von heute wollen „Spaß, Fun, Action, den ultimativen Kick“ (Zitate aus meiner 9. Klasse). Sie erleben jedwede Leistungsanforderung als ungeil beziehungsweise als Körperverletzung und glauben, dass sie einen Anspruch auf „Fun rund um die Uhr“ hätten.

Schließlich das Schlichterprogramm, ein „guter Anfang“, den auch wir in der Schule gemacht haben. Einige der SchülerInnen erklärten sich zunächst bereit, diese Ausbildung zum Streitschlichten zu absolvieren, als sich aber herausstellte, dass das an einem Wochenende geschehen würde, zog man sich fix zurück mit dem Hinweis, Privatzeit werde man dafür nicht investieren. Maria Peters, Glinde

[...] Hier kann man mal wieder sehen, wie ein populistischer Artikel über Lehrer mit einer gnadenlos stringenten und nicht widerlegbaren Beweisführung geschrieben wird. Man nehme irgendwelche Inhalte, reißt sie aus dem Zusammenhang und pappt sie so wieder zusammen, wie es einem passt. Über die Komplexität des Lehrerberufs, die gestiegenen Anforderungen im Unterricht, die Sinnhaftigkeit, über diese Inhalte einen Kongress durchzuführen, wird mit einer oberflächlichen Betrachtungsweise und einer mangelnden Ernsthaftigkeit hinweggegangen, die einem Angst macht.

Schade eigentlich, dass so viele zu solchen Artikeln klammheimlich Beifall klatschen. [...] Walter Heitmann, Braunschweig

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