Die Waffen stammen aus staatlichen Magazinen

In der Türkei soll jetzt eine parlamentarische Untersuchung die Verstrickung von Staat und Regierung mit der Mordbande der Hisbullah klären. Ein fragwürdiges Unterfangen

Istanbul (taz) – „Wir haben einen Teufel bekämpft und dabei einen neuen Teufel geschaffen. Das darf nie wieder passieren“. Mesut Yilmaz, Vorsitzender der konservativen Anap-Partei und einer der entscheidenden Männer der amtierenden Regierung von Bülent Ecevit, ist der erste hochrangige Politiker, der in diesen Tagen offen zugibt, dass die türkische Hisbullah auch deshalb existiert, weil sie in der Vergangenheit von staatlichen Stellen unterstützt wurde. Vier Wochen, nachdem der Kopf der Hisbullah, Hüseyin Velioglu, von der Polizei in Istanbul erschossen wurde und insgesamt 57 Leichen ausgegraben wurden, die auf das Konto der Hisbullah gehen sollen, wird immer deutlicher, wie weit die Metastasen der fundamentalistischen Terrororganisation in öffentliche Institutionen und die Gesellschaft hineinreichen. „Die Hisbullah“, bekannte denn auch Innenminister Sadettin Tantan, „kann allein mit polizeilichen Mitteln nicht besiegt werden.“ Tantan bat die Chefredakteure aller großen Medien zu einem Hintergrundgespräch und beschwor sie mitzuhelfen, die Bevölkerung über den wahren Charakter von Hisbullah aufzuklären. „Es reicht nicht, die Gruppe zu zerschlagen, wir müssen ihre Philosophie bloßstellen.“

Noch ist die türkische Polizei aber weit davon entfernt, die Hisbullah als Organisation zerschlagen zu haben. Am vergangenen Montag erreichte die Auseinandersetzung einen neuen Höhepunkt. Fünf Polizisten wurden getötet, als Mitglieder der Hisbullah in Van, nahe der iranischen Grenze, sich einer Festnahme widersetzten und das Feuer eröffneten. Für besondere Bestürzung sorgt in der türkischen Öffentlichkeit, dass die Waffen, die die Hisbullah dabei benutzte, möglicherweise aus staatlichen Magazinen kommen. Hunderte von Kalaschnikows, aber auch Mörser und Raketenwerfer hat die Polizei in den letzten Wochen aufgespürt.

Vergangene Woche präsentierte dann die Tageszeitung Milliyet eine sensationelle Enthüllung. Der frühere Gouverneur von Batman, der Stadt im Südosten der Türkei, in der Hisbullah ihre Hochburg hat, habe einen Teil der Waffen beschafft. Schritt für Schritt wurde ein Skandal enthüllt, der in der Türkei bereits als „Susurluk 2“ gehandelt wird.

Susurluk ist ein Städtchen an der Ägäis, wo bei einem Autounfall 1996 mehrere hochrangige Polizeibeamte und gesuchte Mafiosi tödlich verunglückten und daraufhin bekannt wurde, dass der Staat sich rechtsradikaler Killer bedient hatte, um Sympathisanten der PKK töten zu lassen. In Batman scheint etwas ähnliches passiert zu sein. Demnach stellte der Gouverneur 1994/95 auf Anweisung der damaligen Ministerpräsidentin Tansu Çiller eine illegale Spezialtruppe auf, die losgelöst von Recht und Gesetz gegen die PKK eingesetzt wurde. Die Waffen dafür beschaffte der Gouverneur in Bulgarien, bezahlt wurde aus schwarzen Kassen, die aus dem staatlichen Fonds für Wohnungsbau gespeist wurden. Ein großer Teil dieser Waffen ist verschwunden. Zahlreiche Hinweise lassen vermuten, dass diese bei Hisbullah landeten – entweder direkt vom Gouverneur, was dieser bestreitet, oder über den Umweg seiner Spezialtruppe.

Çiller, nach wie vor als Chefin der Oppositionspartei DYP politisch im Geschäft, zeigt trotz der alarmierenden Waffenfunde keinerlei Reue über ihre damalige Politik. „In der Hochphase der Terrorbekämpfung 1994“, sagte sie in einem Interview vor wenigen Tagen, „habe ich jede Anweisung unterschrieben, die diesem Kampf diente. Das würde ich heute genauso wieder tun.“

Heute haben ihre Nachfolger allerdings alle Hände voll zu tun, um mit den Folgen einer Politik, die sich um Recht und Gesetz nicht scherte, fertig zu werden. Immer wieder werden Verbindungen der Hisbullah zum Staatsapparat aufgedeckt – ein Sympathisant saß sogar im Amt des Ministerpräsidenten. Imame, die der Hisbullah ihre Moscheen zur Verfügung stellten, werden verhaftet. Erst jüngst wurden 300 Lehrerinnen aus dem Schuldienst entlassen, weil sie durch islamische Kleidung ihre Sympathie mit den Fundamentalisten bekundet hätten. Yilmaz fordert nun einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der die Ausmaße der staatlichen Unterstützung für Hisbullah klären soll. Bislang blieben solche Untersuchungen allerdings ohne viel Wirkung, weil letztlich doch immer so viel Prominenz aus Politik und Militär verstrickt war, dass keine Regierung wirklich Konsequenzen aus den Erkenntnissen zog. Jürgen Gottschlich