„Nur ein bisschen zu blass ist er“

Wladimir Putin ist zwar schon Präsident von Russland. Trotzdem muss er jetzt für das Volk Wahlkampf machen. Seine Berater haben alle Hände damit zu tun, sein Image zu vermenschlichen ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Jetzt ist es offiziell. Die zentrale Wahlkommission in Moskau hat Wladimir Putin (47) als Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im März akzeptiert. Putin deklarierte für die letzten beiden Jahre ein russisches Mittelklasse-Monatseinkommen von umgerechnet 1.300 Mark. In der Rolle des bescheidenen Burschen ohne viel Glamour hatte sich der provisorische Präsident gleich bei Amtsantritt eingerichtet. Schließlich meinen über 40 Prozent aller BürgerInnen der Russischen Föderation, dass ihr Präsident über kein herausragendes Äußeres zu verfügen brauche, während 99 Prozent von ihm Aufrichtigkeit fordern. Der letzteren Erwartung allerdings entsprach der Amtsausübende bisher nicht immer.

Putins Vollmachten haben viele Fachleute dazu bewegt, sich lieber heute als morgen an die Futterkrippe seines persönlichen Think-Tanks zu begeben. Die Berater der Regierung und des Kreml haben sich in Mitglieder eines gewaltigen putinschen Vorwahlstabes verwandelt. Und der ist nun offenbar zu dem Schluss gekommen, es sei an der Zeit, das spröde Image ihres Kandidaten ein bisschen zu vermenschlichen.

So kam es, dass sich der Premier letztes Wochenende mit Ehefrau Ljudmila in dem Kurort Krasnaja Poljana bei Sotschi inmitten des gewöhnlichen Volkes auf der Skipiste tummelte. Sein Outfit zu diesem Zwecke war betont unprätentiös. Besonders rührend wirkte auf dem Staatsoberhaupt ein Pudelmützchen mit Bommel. Die WintersportlerInnen belagerten ihn begeistert und kommentierten: „Er fährt gut und sieht auch in seinem Anzug gut aus. Nur ein bisschen zu blass ist er.“

Der Amtsausübende kommunizierte rege mit der Menge, doch im Gegensatz zu Jelzin ließ er sich nicht in Diskussionen ein. Und dies ist kein Zufall. Spricht doch alles dafür, dass Putin vorerst nicht allzu viel zu sagen hat.

Seine Kampagne begann er bei einem Treffen mit Studenten in Selenograd bei Moskau mit einer Sensation: Auf entsprechende Fragen erklärte er, dass er sein Programm vorerst nicht hinausposaunen wolle . „Es genügt, dass du es verlautbarst“, sagte er, „und schon fangen alle an, daran herumzunagen und es in Stücke zu reißen.“

Deshalb wissen wir zum Beispiel bis heute nicht: Wen will Putin zu seinem Premier machen? Und stimmen die Gerüchte, nach denen er eine Verfassungsänderung anstrebt, um sich selbst eine Amtszeit von 14 Jahren zu ermöglichen? So viel Ungewissheit über die putinschen Pläne stehen die beiden großen Gewissheiten seiner bisherigen Politik gegenüber: dass nämlich sein Weg zum beliebtesten Machtinhaber über tausende von Leichen im Tschetschenienkrieg geführt hat und dass er von einem seit Gorbatschow in Russland nie gesehenen Regierungsdruck auf Presse und Fernsehen begleitet war.

Gerade die Medien aber werden zunehmend kritischer gegenüber dem Amtsausübenden. „In demokratische Wahlen mit einem geheimen Programm gehen? Ist es etwa das, worin der neue Stil der Regierung unseres Landes besteht?“, fragt das Autorenduo Georgi Bowt und Andrej Kolesnikow in der Tageszeitung Iswestija.

Am meisten geschadet hat sich Putin durch die unklare Rolle, die er im Falle des unbequemen Radio-Liberty Korrespondenten Andrej Babitzki gespielt hat, der kürzlich in Tschetschenien von anonymen Regierungsoffiziellen als Geisel an ebenfalls anonyme Banditen ausgeliefert wurde.

Der Fall hat die russische Öffentlichkeit derart aufgewühlt, dass zum fünften Male nach dem Augustputsch 1991 an die 30 russische Tages- und Wochenzeitungen eine kostenlose gemeinsame Sonderausgabe herausgaben – weil sie das Vaterland in Gefahr sehen.

Auf der ersten Seite dieses Extremfallblattes steht eine Erklärung des russischen Journalistenverbandes. Darin heißt es in Bezug auf den Fall Babitzki: „Wladimir Putin hat heute nicht die geringste Möglichkeit, sich darauf hinauszureden, dass ihm die Situation nicht bekannt gewesen sei.

Heißt das, dass das Vorgefallene mit seiner Sanktion oder gar auf seinen Befehl hin geschehen ist? Und können wir sicher sein, dass es sich beim Umgang mit Babitzki nicht überhaupt um den Firmenstil der neuen Machthaber handelt?“

Und weiter: „Gefährdet ist heute unser aller Hoffnung, endlich menschenwürdig in einem normalen Land zu leben, in dem die Menschenrechte nicht Schall und Rauch sind und dessen Machtinhaber seine Bürger nicht mit der Diktatur des Gesetzes einschüchtert, sondern sich vor allem selbst strikt an das Gesetz hält.“