Basteln am Banalen

Hübsch selbstbewusst gescheitert: Karin Beiers Projekt „Futur Zwei“ im Schauspielhaus  ■ Von Ralf Poerschke

Ab und zu muss wohl demonstriert werden – und gerade jetzt, am Anfang der Zeros –, dass das Staatstheater immer noch das alte ist, dass ein Stück ein Stück ist, eine Handlung eine Handlung, dass das Publikum Illusionen will und betrogen werden: zwei Stunden keine Außenwelt, bitte. Mit ihrem Projekt Futur Zwei zeigt Karin Beier das – ex negativo. Projekte an sich sind ja überhaupt nichts Neues im Hamburger Schauspielhaus: Steht Christoph Marthaler mit seinem ästhetischen Hermetismus für ihr unbedingtes Gelingen, so Christoph Schlingensief mit seinem chaostheoretischen Ansatz für ihr zwangsläufiges Scheitern. Karin Beier steht nun irgendwie völlig fundamentlos dazwischen: Die Regisseurin, die ansonsten klassische Texte in zeitgemäße Theaterfeste verwandelt, tut mit Futur Zwei einen Riesenschritt ins postdramatische Zeitalter, von dem seit einiger Zeit so viel die Rede ist – und wir sehen, dass da, wo sie hintritt, gar nichts ist. Achselzucken, Langeweile. Muss man dafür ins Theater gehen? Jein, vielleicht, warum eigentlich nicht.

Sieben Schauspieler sprechen sich mit ihren Vornamen an: Caroline (Ebner), Andreas (Grothgar), Oliver (Masucci), Stefan (Merki), Karin (Pfammatter), Michael (Weber) und Almut (Zilcher). Das sind vielleicht gerade eben noch Figuren – „die Bulimikerin“, „das Computergenie“, „die Träumerin“, „der Zyniker“ etc. –, aber Rollen werden hier nicht mehr gespielt. Eines Tages während der Bildschirmarbeit in einem Großraumbüro geraten sie ins Spielen, ins Erzählen, ins Fantasieren, ins Erinnern: Nicht weniger als die Differenz zwischen den eigenen Erfahrungen und dem (digitalen) Weltgeschehen kommt zur Verhandlung, die Bausteine der eigenen Geschichte werden untersucht, Bewertungen ausprobiert, Haltungen überprüft, Meinungen weit zum Fenster herausgehängt. Wo ist Schönheit, Glück, und ist es gut so, wie wir leben? „Alles dreht sich um Identität“, sagt Karin. Wie derzeit überall in den Künsten. Futur Zwei jedoch zielt ganz besonders übermütig ins Blaue hinein.

Dieser Abend ist vor allem sehr frei nach Douglas Coupland improvisiert und kleckert all das in zerfaserten Dialogfragmenten auf die Bühne, was wir seitdem über unser Leben wissen oder zu wissen glauben. Und wie wir wissen, ist da das Banale oft das Kluge respektive umgekehrt. Und da diese Kette von Alltagsweis- und -dummheiten sich in Futur Zwei in erster Linie nach dem Prinzip der Assoziation fortpflanzt (und nicht nach Gesichtspunkten klassischer Dramaturgie), eigentlich nur musikalisch strukturiert ist (sehr stark: Fritz Feger am Cello und Michael Verhovec am E-Schlagzeug) und auf so gut wie nichts hinausläuft (wie auch?), werden die Rezeptionsgewohnheiten auch des jüngeren Publikums kategorisch unterlaufen. Denn mit „Pop“ oder „Performance“ oder „Live Art“ hat Futur Zwei ebenso wenig zu tun wie mit konventionellem Stadttheater. Chorpassagen aus Krzysztof Pendereckis Lukaspassion (1966) passen eben nicht zu einem, der sich eine Videokamera auf die Hand geschnallt hat, selbst wenn man auf Matrix rekurriert oder Stefan plötzlich behauptet: „Im Radio reden immer nur noch alle über Jesus.“

Futur Zwei ist ein Unikum – und wird es höchstwahrscheinlich bleiben. Dieser Versuch, einer Poesie des Banalen zu ihrem Bühnenrecht zu verhelfen, ist sonderbar hübsch und selbstbewusst gescheitert. An (Theater-)Zukunft birgt er letztendlich nicht viel mehr als Zeichenhaftigkeit, und da ist das Bühnenbild von Penelope Wehrli genauer als der ganze gesprochene Text: Kartons und Lamellenwände, die immer neu zusammengebastelt werden können, mobile Architektur als (Video-)Projektionsfläche, offen, multifunktional, immer nur vorläufig, fragil. Und nun husch zurück in die Gegenwart.

nächste Vorstellung: 25. Februar, 20 Uhr, Schauspielhaus