Gastkommentar
: Keine Katastrophe

■ Der Ökonom Rudolf Hickel zum schwachen Wirtschaftswachstum

(...) Das unterdurchschnittliche Wirtschaftswachstum im Land Bremen hat bei der Oppositionspartei in der Bürgerschaft und anderen Institutionen abenteuerliche Behauptungen ausgelöst. Die Wachstumsdifferenz wird zur „Bankrotterklärung für die Wirtschaftspolitk der großen Koalition“ (Bündnis 90/Die Grünen) umgemünzt. Diese Katastrophenmeldung ist ökonomisch gefährlich naiv und ökologisch unverständlich. Sie verdeckt den sich innerhalb der Produktion und damit der Beschäftigung vollziehenden Strukturwandel in diese Richtung. Die große Koalition muss sich allerdings den Vorwurf gefallen lassen, dieser Fehlinterpretation Vorschub geleistet zu haben. Als 1998 die Wirtschaft im Land Bremen über dem Durchschnitt gewachsen war, überschlugen sich die ökonomischen Erfolgsmeldungen über die Bremische Wirtschaftspolitik durch die für Finanzen und Wirtschaft zuständigen Senatoren. Da liegt es natürlich nahe, der Erfolgs- jetzt die ebenfalls naive Katastrophenmeldung folgen zu lassen.

Aus dem niedrigen Wirtschaftswachstum gegenüber dem Bundesdurchschnitt kann weder auf Erfolg noch Misserfolg in der bisherigen Etappe der Sanierungspolitik geschlossen werden. Entscheidend ist die Beschreibung des sich vollziehenden Strukturwandels. Das gilt auch für die Frage, ob sich die ökologische Qualität des Wirtschaftens verbessert beziehungsweise verschlechtert.

Ein Blick auf die Sektoren und Branchen der Bremer Wirtschaft gibt Hinweise auf die Wachstumsverlangsamung in 1999 und widerlegt die Katastrophenmeldung:

– 1999 ist die Wachstumsverlagerung in Deutschland maßgeblich auf den Rückgang der Exporte im Zuge der Krisen in Südostasien, Lateinamerika und Russland zurückzuführen. Dies hat bei den in Bremen überproportional vertretenen exportorientierten Unternehmen zu Einbußen geführt. Gewiss ist, dass sich die Entwicklung in diesem Jahr im Zuge des exportgetriebenen Aufschwungs wieder zu gunsten Bremens wenden wird.

– Das Statistische Landesamt verweist zu Recht auf die schwächere Produktionsentwicklung im verarbeitenden Gewerbe. Da hier wenige Unternehmen maßgeblichen Einfluss haben, können dort kurzfristige Umstellungen zur befristeten Wachstumsverlangsamung führen.

– Schließlich schlägt sich der langsam vollziehende Bedeutungsgewinn im produktionsorientierten Dienstleistungsgewerbe noch nicht in der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes der letzten Jahre nieder.

Der Wachstumsverlust gegenüber dem Bundesdurchschnitt darf also nicht als Indiz für das Scheitern der ökonomischen und fiskalischen Sanierungspolitik in Bremen gedeutet werden. Mit dem Investitions-Sonderprogramm ist der Strukturwandel in die richtige Richtung eingeleitet worden. (...) Sicherlich sollten die Akzente noch deutlicher für einen zukunftsorientierten Strukturwandel gefördert werden. Dazu gehört einerseits die Stärkung des Humankapitals und damit endlich die Überwindung der Vorstellung, Ausgaben für Bildung und Kultur seien konsumtiv – und das meint minderwertig. Andererseits sollte der ökologische Strukturwandel gefördert werden. Hier gilt es, das Sanierungsprogramm zu pointieren, um einen ökonomisch stabilen und ökologisch verträglichen Wachstumstyp durchzusetzen – anstatt in Wachstumsfetischismus zurückzufallen.

Erste Erfolge des Strukturwandels sind erkennbar. Die Stärkung einer breit gestreuten Wirtschaftsstruktur mit vielen Unternehmen muss das Ziel sein. Der Blick auf die Wachstumszyklizität verdeckt den Blick für diesen Strukturwandel. Wichtig ist es jetzt, trotz niedrigen Wirtschaftswachstums überregional auf die ersten Erfolge des Strukturwandels hinzuweisen (...) Vor allem bleibt die Aufgabe, humane Arbeitsplätze zu schaffen, denn die entstehen nicht im Selbstlauf. Rudolf Hickel