Polit-Viren legen Redaktion lahm

■ Bei der Tageszeitung „junge Welt“ wird schon wieder über die politische Linie gestritten. Seit Anfang Februar haben darauf fünf Redakteure mit einer Krankschreibung reagiert

Der Krankenstand von Unternehmen wird gewöhnlich nur in statistischer Form öffentlich gemacht. Nicht so bei der Tageszeitung junge Welt: Am Samstag berichtete das ehemalige Zentralorgan der FDJ über die Krankmeldung seiner Mitarbeiter: Seit Anfang des Monats sind fünf Redakteure krankgeschrieben– der Chefredakteur, sein Stellvertreter und sämtliche Ressortchefs mit Ausnahme von Fotoredaktion und Feuilleton.

Eine Pflichtübung gegenüber den Lesern, verteidigt Verlagsgeschäftsführer Dietmar Koschmieder die kurze Mitteilung: „Die müssen doch wissen, dass wir unter erschwerten Bedingungen arbeiten.“ Was seinen Mitarbeitern widerfahren ist, verrät er hingegen nicht: Zum Teil entziehe es sich seiner Kenntnis, außerdem dürfe er es „aus datenschutzrechtlichen Gründen“ nicht erzählen. Fakt sei, so Koschmieder zur taz, „dass die Leute ordnungsgemäß krankgeschrieben sind und ich hoffe, dass sie wieder gesund werden“. Auch einer der Erkankten wollte sich auf besorgte Nachfrage der taz nicht zu seinem gesundheitlichem Befinden äußern.

Inhaltliche Differenzen und Kritik an Personalpolitik

Kenner des Blattes bezeichnen die Krankheit dagegen bereits als „Moskau-“ oder „Nordkoreagrippe“: Ursache seien keineswegs heimtückische Viren, die sich nur in Redaktionsräumen am Berliner Alexanderplatz Opfer suchen, sondern inhaltliche Differenzen und Kritik an der Personalpolitik Koschmieders. Geschäftsführung und Chefredaktion streiten, so die Insider, über die Ausrichtung der Zeitung: Will man im Westen nach Neu-Abonnenten Ausschau halten oder sich trotz magerer 15.000 Exemplare Auflage auf die Traditionsleserschaft konzentrieren?

Die Krankgeschriebenen haben dazu eine klare Auffassung: Viele Westleser könne das Blatt ohnehin nicht gewinnen: Also will am sich lieber an die bewährte Klientel halten. Die Geschäftsführung hatte dagegen mit der Kölner Woche versucht, im Westen Fuß zu fassen, das Projekt aber mittlerweile abgebrochen.

In der Personalpolitik ringen Chefredaktion und Verlag darum, wer die Entscheidungen zu treffen hat: Koschmieder wollte gegen den Widerstand von Chefredakteur Holger Becker plötzlich Ressortleitungen neu besetzen. Und Inlandschef Uwe Soukup fand sich im Impressum plötzlich mit dem Zusatz „kommissarisch“ wieder.

Doch schon im Mai 1997 hatte der Geschäftsführer durch seine Personalpolitik für Aufsehen gesorgt. Nach einer Absetzung des damaligen Chefredakteurs wurden die Verlagsräume von der Mehrheit der Redakteure besetzt, die Zeitung erschien tagelang nur als Notausgabe. Koschmieder wolle, dass „orthodoxe Kommunisten und Nationalbolschewisten“ die junge Welt dominieren, lautete damals der Vorwurf. Die wenigen Redakteure, die 1997 seinen politischen Kurs unterstützten, sind nun mehrheitlich erkrankt.

Nach außen wird der Konflikt auf Anweisung Koschmieders allerdings abgewiegelt: Die Auseinandersetzungen seien eine interne Angelegenheit und würden auch intern beigelegt, heißt es.

Krise soll zur Kampagne fürErhalt der Zeitung werden

„Es mag sein, dass es Differenzen gibt, aber die sind hier bisher nicht angesprochen und ausdiskutiert worden“, gesteht Feuilleton-Chef Arnold Schölzel, der nun kommissarisch die Redaktion leitet, solange die geheimnisvolle Krankheitswelle grassiert. Die Konflikte würden aber nicht ewig währen, ist sich Schölzel sicher: „Vorrangiges Interesse aller sollte der Erhalt der Zeitung sein.“

Und so versucht der Verlag, aus der internen Krise eine Kampagne zu machen: In den kommenden zehn Wochen sollen 1.000 Neuabos den Fortbestand der jungen Welt sichern. Dirk Hempel