Das Portrait
: Reformer der ersten Stunde

Anatoli Sobtschak

„Ich habe immer genau gespürt, wo mein Herz sitzt“, sagte Anatoli Sobtschak einmal. Das war schon, als man ihn verdächtigte, sich durch einen mit einer Herzkrankheit begründeten Krankenhausaufenthalt der staatsanwaltlichen Untersuchung wegen Korruption entzogen zu haben. Vorgestern Nacht musste der 63-jährige renommierte Rechtsgelehrte und Ex-Oberbürgermeister von St. Petersburg sein Herz besonders intensiv gespürt haben. Falls er wirklich an einem Infarkt gestorben ist.

Hochgewachsen schlank und elegant, war er immer sehr vorzeigbar. Er stach ins Auge, 1989 im Präsidium der überregionalen Deputiertengruppe, der ersten parlamentarischen Opposition in der Sowjetunion. Und wenn die Anhänger des damaligen Präsidenten der UdSSR, Michail Gorbatschow, sagten, man müsse trotzdem zu ihm halten, weil es keine Alternative gäbe, dann antworteten viele Demokraten: „Und Sobtschak? Mit dem als Präsident könnten wir uns sogar in Paris sehen lassen.

Er strahlte etwas Nobles aus und war immer zugänglich. Als er sich 1991 um das Amt des Oberbürgermeisters von Leningrad bewarb, hatte kein anderer eine Chance. Unter ihm erhielt die Stadt ihren Namen, St. Petersburg, wieder. Im August 1991 vereitelte er den Plan der Putschisten, die zweite Hauptstadt Russlands als Bollwerk gegen Moskau zu benutzen.

1996 wurde Sobtschak nicht wieder gewählt. Der Hauptgrund: Die Petersburger glaubten, dass die Gerüchte über Korruption und Amtsmissbrauch Anatoli Sobtschaks stimmten.

Auf den Verlust der Macht folgten Anklage und Untersuchungsverfahren. Es schien, als sei einer der Väter der russischen Verfassung mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Schließlich ließ sich Anatoli Sobtschak mit seiner zweiten Frau in Paris sehen. Während des „erzwungenen Exils“ stritt der Jurist alle Beschuldigungen ab. Im Juli 1999 konnte das Ehepaar zurückkehren. Der Haftbefehl wurde aufgehoben. Aber das Verfahren blieb in der Schwebe und Sobtschak ohne Amt.

Nicht einmal in einem der Beraterstäbe seines Zöglings Wladimir Putin fand sich ein Pöstchen. Mit dem Aufstieg Putins konnte sich der Ex-Professor sicherer fühlen. Putin hatte bei ihm in Leningrad studiert. Als Bürgermeister machte er ihn zu seiner rechten Hand. „Sobtschak unterschrieb kein Dokument, das Putin nicht gegengezeichnet hatte“, erinnern sich viele Alt-Demokraten. Wahrscheinlich hat ihn Putin vor manchen Rechtsverletzungen bewahrt. Barbara Kerneck