Wieder der tierische Ernst

Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, Prototyp der durchrassten Gesellschaft (Mutter rheinländisch), erhält höchste karnevalistische Ehren ■ Aus Aachen Bernd Müllender

Zugegeben, Karneval erschließt sich nicht jedem. Nicht sofort. Erst recht nicht der Sitzungskarneval mit seinen Humbtata und seinen befehlsmäßig abgefeuerten Lachsalven. Mit jenen Zoten, die sich als Witze tarnen, und den abgrundtiefen Plattitüden, die Humor genannt werden.

Und dann gibt es da noch Aachen, den „Orden wider den tierischen Ernst“. Das ist die Habilitation unter den Humorprüfungen. Jürgen Linden, Aachens Oberbürgermeister von der SPD und einer der notorischsten Jecken, hat ein Patentrezept: „Man muss einfach mal das Denken einstellen.“ Dann gehe Karneval.

In diesem Sinne betritt der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) die Bühne der Narren. Der 58-Jährige war als hoch karnevalsfähig eingestuft und zum Ordensritter 2000 gekürt worden.

Farbsicher der Festsaal weißblau gerautet, eine naturidentische Blaskappelle schrammelt sich durch den Abend, und dann, nach gut zweieinhalb Stunden Büttenreden, Märschen und karnevalisierten Kinderliedern („Amsel, Drossel ...“) steht der Stoiber Edmund endlich im Narrenkäfig. Da kommen alle Ordensritter rein, eine Art Initiationsritus und Höhepunkt des „närrischen Staatsakts“.

Und dann? Nix. Kein Witz. Nein, Edmund Stoiber muss gestehen, ihm sei „der Humor verreckt“. Tusch. Lachsalve. Amüsement im analkoholisierten Saal.

Aber, keine Sorge, alles nur Scherz, der Humor wird wiederbelebt. Im Versuch, Selbstironie auszuleben: „Edmund“, sagt Edmund Stoiber mit geschauspielertem Bemühen, „ist ein Name ohne jede Ausstrahlung, ein Name ohne jede Erotik.“ Genial daran die unfreiwillige Aussprache des Wortes Erotik: etwa „Er-Rottick“. Und er weiß noch zu steigern: „Stoiber, das ist, bitte helfens mir, das ist wie ein Peitschenschnalzer, aber ohne jede ...“, und dann verhaspelt er sich tragisch, „... ohne jede Ore-Erro-äh-Er-Rottick.“

Das Saalpublikum rast vor Begeisterung. Hämefrei. Spontan verdichtet sich die Hoffnung: Stoiber hat Witz.

Vorher hatte es Befürchtungen: Ausgerechnet der, warum? Hatte irgendwer diesen Stoiber schon mal beim Lächeln erwischt? Diesen kalten Asketen und staubnüchternen Machtmanager? Entsetzen als Spontanreflex: Werden die Ritter neuerdings „nach dem Gelächter bei ihrer Nominierung ausgesucht“?

Die Laudatoren des Aachener Karnevalsvereins waren vorbereitet: Stoiber, „das blonde Fallbeil“, habe doch Talent als „Macher und Maßstemmer“, ein Mensch, der „High-Tech-Verstand mit Weißwurst-Bodenständigkeit vereint“, der „warmherzig und humorvoll“ sei, „und zwar ohne Possen und Clownerie“. Stoiber selbst reimte sich vorab stolpernd in die Narrenherzen: „Macht hoch das Narrentor. Ritter Edmund quält Humor.“

Von wegen Pointenwüste des Rechtsaußen, dessen Name für den „Münchner Kessel“ steht, für giftige Rhetorik, Asylantenhetze, für Kruzifixe in Klassenzimmern, für Millionenkredite an den darbenden Medienzaren Leo Kirch und für Verharmlosung des Terrorismus, seit er die doppelte Staatsbürgerschaft für sicherheitsgefährdender erklärte als den Terror der RAF in den 70er-Jahren.

Doch die Menschen, sie waren nicht überzeugt. Auch die eigentlich karnevalshörige Aachener Heimatpresse taumelte zwischen Entsetzen und Schaudern: „Gusseiserne Hau-drauf-und-Schluss-Rhetorik“ wusste selbst die konservative Aachener Zeitung dem neuen Ritter zu assistieren, sein Witz habe doch „die Häufigkeit einer Sonnenfinsternis“. Stoiber und Humor: „Eines der letzten großen Rätsel dieses Jahrtausends.“ Lob kam nur von den bayerischen Grünen: Aachens Humorwarte bewiesen „Mut zum Risiko“.

Tapfer kämpft Ritter Edmund im Käfig gegen so viel Vorschusslorbeer, etwa durch die humoröse Aufarbeitung von Kohl und CDU-Spendensumpf: „Der Schatz im Silbersee bleibt nicht im Wolfgangsee, der kommt nun zum Wolfgang Thier-See.“ So geht Karneval. So einfach. Tusch. Lach. Hurra.

Aber nicht bei allen: Der Reporter der Süddeutschen Zeitung, ins Rheinland zwangsexpediert, um auf seinen Ministerpräsidenten aufzupassen, wird rot. Stammelt „O Gott, nein“ und „Unglaublich, peinlich“. Er schäme sich als Bayer, gibt er zu. Kein Humor, der Mann. Die Kollegen trösten mitfühlend.

Viel versprechende Ansätze hatte Stoiber schon am Samstagmorgen gezeigt, im Aachener Rathaus beim Festakt zu 50 Jahren Rittertum. Dichtend: „Wo einstens schon der Karl der Große / sich flicken ließ die Lederhose ... und auch die Witze fröhlich sprießen / wie Schmammerl in den feuchten Wiesen.“

Kein Reimlexikon, das von den Humorbrigaden der Münchener Staatskanzlei nicht ausgeräubert worden wäre.

Oder am Mittag, der Kurzauftritt für das Volk bei der „Open-Air-Sitzung“ vor dem Rathaus. Stoiber sprach von der „großen Verantwortung als Ritter, jetzt alles nicht mehr so ernst nehmen zu dürfen“. Als er das Wort „locker“ locker auszusprechen versuchte, geriet es zu einem zweisilbigen Stottern. Immerhin: Bei Lustigkeitsmimik ging ein Mundwinkel schon hoch, der linke übrigens. Doch keine Sorge: Als ihn ein Reporter auf Angela Merkel ansprach, waren beide Mundwinkel sofort wieder tief unten. Dann schenkte er, während viele Kameras liefen, Kölsch und Printen-Punsch aus. Zuruf: „Vier Bier, bitte.“ Stoiber neckisch: „Und wo ist der Zaster?“ – „Ich dachte, die CDU/CSU hat noch genug in der Kasse.“ – Spontanreplik Stoiber: „Jaja, hm.“

Im Festakt bringt Stoiber, in bestem salonbajuwarischem Idiom, wie es die Nordlichter lieben, alle relevanten Fachbegriffe unter: Kuhglocken, Fensterln, Beckenbauer. Und er ist auch politisch frech, hemmungslos, rücksichtslos. Einen „Kohl-Lateralschaden“ spricht er seiner Schwesterpartei zu. Zu Rüttgers fällt ihm Rüttgers-Club ein. Zu Müntefering: „Wenn der nicht aufpasst, muss er bald für sein Gesicht Hundesteuer bezahlen. Wuff!“ Gelächter. Der SZ-Kollege erklärt sich unpässlich und stürzt aus dem Saal.

Das mit dem Müntefering sei, berichtet Stoiber nachher, „sein liebster Gag“ gewesen. „Da habe selbst ich lachen müssen.“

Promis waren reichlich gekommen: Franz Beckenbauer (Stoiber-Spezl), Fußball-Chef Egidius Braun, WDR-Intendant Fritz Pleitgen, Schauspieler Hans Clarin (Pumuckl), Jürgen Rüttgers (Wahlkampf), Westerwelle und Möllemann (Überlebenskampf).

Viele aus konservativer Ecke aber, insbesondere Ex-Ritter, hatten zum Verdruss der Veranstalter kurzfristig abgesagt. Epidemiebedingt: Hier war der Eingeladene selbst krank (Richard Stücklen, Manfred Rommel), dort hatte es jemanden aus der Familie erwischt oder es waren „andere Termine“ (Lothar Späth) dazwischen gekommen.

Auch Ex-Ritter Johannes Rau fehlte; Samstags fliegen Banken nicht, hieß es. Nur Norbert Blüm hatte ehrlich abgesagt: „Mir ist im Moment nicht zum Lachen zu Mute.“ Dabei ist Blüm Star in Aachen: Jedes Jahr feiert ihn das Publikum wie im Fußballstadion mit „Norbert, Norbert“-Chorälen.

Ist Narretei Wahlkampf mit anderen Mitteln? Stoiber wusste nachher zu sagen: „Karneval ist eine politische Veranstaltung.“ Aachen hatte am Samstag sogar einen karnevalspolitischen Skandal: Die beiden Frontfiguren des hochgelobten alternativen Karnevals („Strunx-Sitzung“) hatten sich vom reichen AKV als Eröffnungsmoderatoren einkaufen lassen.

Zwar durften sich die beiden darüber streiten, ob Stoiber der „geradezu entheitertste Mensch“ überhaupt ist oder ob man ihn schon bei „Haiderkeitsausbrüchen“ erwischt hat (was erfreuliches Schweigen im Saale hervorrief).

Aber es gibt eben kein wahres Karnevalsleben im falschen, wie Adorno einst definierte. Die Seele verkauft hatten die beiden. Und siehe, selbst Stoiber war gebrieft: Ja, das Einbinden der Alternativen fand er gut, „so verlieren die ihre Sonderstellung“.

Stoibers entscheidender Satz bei der imageaufbauenden Vorproklamation zum Bundeskanzleramt, lautet: „Wenn das meine rheinländische Mutter noch erlebt hätte ...“ Jubelsalven im Saal. Und es ist sogar wahr: Mama Stoiber ist aus Dormagen. Eine politisch raffinierte Idee: Wer wie Stoiber die „durchrasste Gesellschaft“ verhöhnt, ist, der Mutter sei Dank, selbst ein idealtypisch durchrasster Prototyp für den rheinischen Frohsinn.

Am Ende Applaus. Wirklich, der rheinische Frohsinn existiert nach diesem denkwürdigen Abend weiter. Keine Luftschlange errötete. Keiner in der Alaafstadt Aachen rief Helau. Niemand schunkelte vor- oder rückwärts. Und auch der SZ-Kollege kam wieder. Ausgeheult? Er habe sich übergeben, sagt er. Aber das war nur ein kleiner Scherz.

Kein Zweifel: In Edmund Stoiber hätte der Humorstandort Deutschland einen würdigen Bundeskanzler.