Ein Loch ist im Beton

Nicolas Stemanns packende Uraufführung von Albert Ostermaiers „Death Valley Junction“  ■ Von Ralf Poerschke

„Dauernd veränderst du die Geschichte“, beschwert sich Desmond bei Valery. Und ahnt schon Böses: „Warum müssen die beiden genauso lange zusammen sein wie wir?“ Wenn Desmond wüsste, was Valery weiß. Aber der Zuschauer weiß auch nur, dass dies die Geschichte eines gnadenlosen Rachefeldzuges ist. Er hofft vielleicht wie Desmond, dass sich am Ende alles zum Guten hin auflöst, dass es zumindest eine Erklärung gibt – so eine wie in diesen kompliziert gestrickten US-Psychothrillern. Aber diese Art von Klarheit wird es nicht geben. Wenn Desmond und Valery am Anfang vom Sofa aufstehen, um ihre Geschichte spielend zu erleben, liegen die Realitätsebenen bereits unentwirrbar über Kreuz.

„Tu, der du eintritts, alle Hoffnung ab“: Der berühmte Satz im Angesicht des Höllenschlunds aus Dantes Göttlicher Komödie, die dem Lyriker und Dramatiker Albert Ostermaier Anstoß gab für sein Stück Death Valley Junction, gilt, was den Verständnishunger anbelangt, ebenso für das Uraufführungspublikum im Malersaal. Denn hier führt einer Regie, dessen Spezialität es normalerweise ist, klassische Theatertexte zu zerpflücken und für den Gegenwartsgebrauch neu zusammenzunähen: Nicolas Stemann, Hamburger Regiehochschul-Absolvent, 31. Und so hat er auch, in enger Abstimmung mit dem exakt ein Jahr älteren Autor, Death Valley Junction einen ganz neuen Dreh gegeben. Ostermaier musste sich dafür sogar noch mal an den Schreibtisch setzen – und unter anderem ebenjenen Anfangsdialog auf dem Sofa schreiben.

Wenn also Valery (Nina Kunzendorf) mit Desmond (Sebastian Rudolph) an dessen Geburtstag zu Dante's View fährt, um den Sonnaufgang über dem Death Valley zu genießen, ist die Stimmung schon auf doppelt irreal getrimmt und dem Urtext einige Meilen voraus. Stemann bezieht sein Bedrohungspotentialweniger aus den Dialogen, in deren Zuspitzung Desmond immer bewusster wird, dass er Opfer einer perfiden Inszenierung ist, als aus den technischen Möglichkeiten, die ihm als Regisseur zur Verfügung stehen. Virtuos und punktgenau operiert er mit Videobeamern, die Aufnahmen aus dem Valley an die Wände projizieren, die Figuren an diesen virtuellen Ort verfrachten oder gar ganze Spielszenen ersetzen beziehungsweise komplementieren.

Und auch den schwersten Schock, der gleichsam die ganze Raffinesse des Abends pointiert, landet Stemann mit einem Kulissentrick: Desmond tritt, den Satz „Ich blick jetzt überhaupt nicht mehr durch“ auf den Lippen, in die rohe Waschbetonwand des Maler-saals ein veritables Loch! Der Beton: täuschend echt angemalte Pappe! Von einer Sekunde auf die nächste ist das Spiel im realen Theater angelangt. Was einen genialen Aufhänger bietet für den Auftritt von Beat (Philipp Hochmair) und Tracy (Bettina Engelhardt), die als Bühnenarbeiter verkleidet das Loch zutackern, um sich alsdann als gewaltätiges Rockerpaar zu enpuppen – Teil wiederum von Valerys tödlicher Inszenierung. Was für ein Regieeinfall!

Stemann leistet unglaublich viel in diesen gerade mal 75 Minuten: Er wuchtet einen Großteil des Subtextes von Death Valley Junction (Dante, Filmzitate, Schuld, Sühne, Beziehungsstörungen, unterschiedliche Realitäten, der Mythos des Ortes etc.) mit auf die Bühne, erhält dabei die Spannung der Binnengeschichte, potenziert die Ebenen, komponiert ein furioses Wechselbad an Stimmungen, und bei all dem ist noch Platz für eine überragende darstellerische Einzelleistung: Oliver Mallison spielt den auf Horrortrip befindlichen Drogenfreak Sly. Unterm Strich wird daraus ein auch handwerklich brillanter, packender Meta-Thriller, der hinsichtlich Stoff, Konzeption und Durchführung zweifelsfrei eine Sonderstellung im deutschen Theater einnimmt.

weitere Vorstellungen: heute, 6. bis 9., 14., 21. und 22. März, 20 Uhr, Malersaal