Die braunen Leichen im lettischen Keller

Erste zaghafte Schritte zur Aufarbeitung der Nazikollaboration

Stockholm (taz) – Am 16. März werden wieder ehemalige lettische Angehörige der Waffen-SS in Riga und anderen Städten des Landes Kundgebungen abhalten und ihrer vermeintlich ruhmreichen Vergangenheit gedenken. Doch anders als früher wird dieser Gründungstag der lettischen SS kein nationaler Soldatengedenktag mehr sein. Gerade noch rechtzeitig konnte sich eine Mehrheit des Parlaments am vergangenen Donnerstag zu einer Abschaffung dieses „Heldengedenktags“ durchringen.

Am gleichen Tag war in Riga eine zweitägige internationale Konferenz zu Ende gegangen, die ebenfalls die Bewältigung brauner Vergangenheit im Lande zum Thema hatte: die Verfolgung und Bestrafung lettischer Kriegsverbrecher in Hitlers Diensten.

Lettlands Justiz hatte sich bislang auffallend schwer getan mit diesem Problem. Nach Erringung der Unabhängigkeit von Moskau hatte man sich zwar gleich auf die Sühne von Kriegsverbrechen gestürzt, aber im Wesentlichen nur auf die der Roten Armee und solcher im Zusammenhang mit stalinistischen Deportationen.

So war der Ex-Geheimdienstchef Alfons Noviks vor vier Jahren wegen seiner Beteiligung an solchen Deportationen zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Ende Januar wurde der 77-jährige Vasiljj Kononov, ehemaliger Partisanenführer und von der Sowjetunion als „Held des antifaschistischen Kampfs“ ausgezeichnet, wegen der Ermordung von neun Zivilisten zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.

Das verleitete Russlands amtierenden Präsidenten Wladimir Putin, in einem Protestbrief an seine lettische Kollegin Vaira Vike-Freiberga von „einem grausamen und ungerechten Urteil gegen einen alten und schwer kranken Mann“ und insgesamt einer verabscheuungswürdigen Kampagne zu sprechen. Man werde „Kriegsverbrecher, gleich von welcher Seite“ bestrafen, beantwortete Aiva Rosenberga, Präsidentensprecherin, diesen Protest. Doch tatsächlich steht bislang der Beweis dafür noch aus, was die Naziverbrechen angeht.

Der Prüfstein für Lettlands Aufarbeitung seiner braunen Vergangenheit hat einen Namen: Konrad Kalejs. Der aus Großbritannien nach Australien ausgewiesene 86-jährige ehemalige SS-Offizier, dessen Einheit des Massenmords an 30.000 Menschen beschuldigt wird, war hauptsächliches Thema der Konferenz der vergangenen Woche, an der StrafverfolgerInnen aus sieben Ländern teilnahmen. Es ging dabei darum, die Beweislage gegen Kalejs zu sichten und ein Auslieferungsbegehren Lettlands an Australien vorzubereiten. Ein solches Auslieferungsbegehren und einen anschließenden Prozess hatte die lettische Delegation bei der Holocaust-Konferenz in Stockholm Ende Januar zugesagt.

Dass man nun tatsächlich innerhalb von nur drei Wochen konkrete Schritte hierzu einleitet, kann als Signal eines ernsthaften Willens zu einer Aufarbeitung der braunen Vergangenheit gewertet werden. Diese Aufarbeitung wurde bislang dadurch erschwert, dass die Kriegsbeteiligung an der Seite Hitler-Deutschlands in weiten Teilen der lettischen Bevölkerung als Kampf gegen die sowjetische Unterdrückung verherrlicht wurde. Die Erringung der Selbstständigkeit hatte in den Neunzigerjahren zu einem Aufschwung nationalistischer Stimmungen geführt, die Fragen nach der eigenen Verantwortung an Hitlers Völkermord als „Nestbeschmutzung“ gelten ließ.

Zeichnet sich hierbei eine Änderung ab, hat dies zum einen mit einer neuen PolitikerInnengeneration zu tun, für die stellvertretend die aus kanadischer Emigration heimgekehrte Staatspräsidentin Vike-Freiberga steht. Zum anderen ist PolitikerInnen wie Öffentlichkeit in Lettland klar geworden, dass die erstrebte EU-Mitgliedschaft des Landes ohne eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland und ohne ein Aufräumen der braunen Leichen im Keller illusorisch ist. Reinhard Wolff