Labour-Linke wütend nach Ablinken Ken Livingstones

Die Kandidatenkür für die Londoner Bürgermeisterwahl mobilisiert die alte Labour-Linke gegen Parteichef Blair ■ Von Ralf Sotscheck

Nicht nur die traditionellen Wähler sind von New Labour enttäuscht, sondern auch diealten Parteiaktivisten

Dublin (taz) – Die Freude währt nur kurz bei Tony Blair: Zwar ist sein Schützling Frank Dobson zum Labour-Kandidaten für das Londoner Bürgermeisteramt ernannt worden, doch die Parteilinke macht wieder mal Ärger. Sie drängt den unterlegenen Ken Livingstone, bei den Wahlen am 4. Mai als Parteiloser zu kandidieren.

Parteilos wäre er dann auf alle Fälle, denn eine Kandidatur ohne Labour-Absegnung würde den sofortigen Parteiausschluss nach sich ziehen. Der „rote Ken“ fühlt sich als moralischer Sieger, denn er bekam fast 80.000 Stimmen, Dobson dagegen nur gut 20.000. Aufgrund des Anti-Livingstone-Wahlsystems, das den paar Londoner Abgeordneten genauso viel Gewicht verlieh wie den 80.000 Parteimitgliedern und den Gewerkschaften, reichte es knapp für Dobson.

Die Versuchung für Livingstone ist groß: Nach einer Umfrage des London Evening Standard von gestern würde er 50 Prozent der Stimmen gewinnen, sein Rivale Dobson käme dagegen nur auf 22 Prozent, der Tory-Kandidat Stephen Norris auf 15 und Susan Kramer von den Liberalen Demokraten auf 8 Prozent.

Livingstone hat sich im Dezember unter Gleichgesinnten umgehört, ob sie bereit wären, auf einer unabhängigen Liste für den 25-köpfigen Stadtrat zu kandidieren, denn ohne den Stadtrat – da hat New Labour vorgebaut – kann der Bürgermeister nicht handeln.

Blair wusste schon, warum er die Vorwahlen für die Bürgermeisterkandidatur manipulierte: Immer dann, wenn es eine freie Abstimmung gab, lag der linke Parteiflügel vorne. Deshalb hat Blair frühzeitig angefangen, die demokratischen Parteistrukturen abzubauen und durch ein System zu ersetzen, das ihm den Vorwurf von „Kontrollwahn“ einbrachte. „Parteien werden von Ideologien zusammengehalten“, sagt der frühere Labour-Vize Roy Hattersley. „Ich hoffe, Blair wird es nicht eines Tages bereuen, die Loyalität zu einer Idee und die Leute, die dafür jahrelang gekämpft haben, verabscheut und beleidigt zu haben.“

Blairs Kontrollwahn hat bereits ins Debakel geführt. In Wales hatte er den loyalen Alun Michael auf Kosten des populären Rhodri Morgan als Ersten Minister durchgeboxt. Labour verlor die sicher geglaubte absolute Mehrheit, und vorletzte Woche verlor Blair auch noch Alun Michael, der in Wales keinen Rückhalt mehr in der eigenen Partei hatte.

Bei den Europawahlen 1999 machte Blair denselben Fehler: Die auf Loyalität geprüften und für gut befundenen Kandidaten fielen beim Stimmvieh durch, den am Boden zerstörten Tories gelang ein Comeback, das sie selbst kaum für möglich gehalten hatten.

Die Zusammensetzung der Labour-Wählerschaft hat sich in den vergangenen 30 Jahren stark gewandelt. Waren in den Sechzigerjahren nur 16 Prozent aus der Oberschicht, so sind es heute 31 Prozent. Die Zahl der Mittelschichtwähler ist um mehr als die Hälfte auf 47 Prozent gestiegen, bei der Arbeiterklasse ist die Tendenz umgekehrt.

Aber es sind nicht nur die traditionellen Wähler, die von New Labour enttäuscht sind, sondern auch die alten Parteiaktivisten. Im Europawahlkampf im vergangenen Jahr blieben viele Flugblätter und Wahlbroschüren in der Parteizentrale liegen, weil sich nicht genügend Verteiler fanden. Den alten Labour-Mitgliedern dämmert es langsam, dass Hattersley mit seiner Analyse Recht hat: Blair ist ein Fremdkörper, der seine Partei nicht sonderlich mag und ihre Aktivisten verachtet.

Das könnte sich rächen, denn die Parteilinke, die sich nach Labours deutlichem Wahlsieg kaum noch traute, den Mund aufzumachen, formiert sich neu.

Blair droht neues Ungemach, wenn Unison, die Gewerkschaft für den Gesundheitsdienst, einen Nachfolger für den Generalsekretär Rodney Bickerstaffe wählt. Aussichtsreichster Kandidat für seine Nachfolge ist Roger Bannister, ein Sozialist, der damit wirbt, dass er nicht davor zurückscheut, „New Labour zu verärgern“.

Bickerstaffe, der in Pension geht, war voll und ganz New Labour. Er setzte auf „Partnerschaft mit der Regierung“ und unternahm nur lahme Versuche, eine bessere Finanzierung des maroden Gesundheitssystems durchzusetzen. Mit Bannister wäre das bequeme Arrangement für New Labour vorbei. „Warum zum Teufel geben wir der Labour Party Millionen Pfund“, fragt der, „wenn die Partei nicht mal bereit ist, die Arbeitgeber zu einem Mindestlohn von mehr als 3,60 Pfund die Stunde zu verpflichten?“