Banken werden immer virtueller

Die Kredithäuser investieren lieber in strategische Allianzen mit Softwarehäusern als in ihre alten Geschäftsbereiche

Nürnberg (taz) – Microsoft-Boss Bill Gates weiß es bereits seit längerem: „Banking is necessary, banks are not.“ Doch Deutschlands Spitzenbanker hatten sich in den vergangenen Jahren ausschließlich in den Konkurrenzkampf der eigenen Branche verbissen: Fusion von Hypo- und Vereinsbank, ständig neue Übernahmegerüchte bei der Commerzbank, der Einstieg von ausländischen Banken in den deutschen Markt, wie der schwedischen SEB bei der BfG, dazu Übernahmen und Zusammenschlüsse bei Sparkassen und Volksbanken. Fast hätten die Herren darüber die Zukunft verschlafen: Online-Aktivitäten und Internet nahmen sie nur als Möglichkeiten, den kostenträchtigen Massenverkehr zu rationalisieren und sich vom teuren Filialnetz (und damit von tausenden von Mitarbeitern) zu trennen.

Jetzt sind sie aufgewacht und investieren Milliardensummen in neue strategische Allianzen, um, so Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer, „die Deutsche Bank zu transformieren und in die Welt des Internet hineinzuleiten“. Gestern kündigte die größte Bank der Welt eine Allianz mit SAP als führendem Softwarehaus an, um für verschiedenen Branchen im E-Commerce Online-Marktplätze zu entwickeln, für eine Börsenplattform haben sich die Deutsch-Banker bereits mit AOL Europe und Bertelsmann verbündet, hinzu kommen Kooperationen mit Yahoo, Mannesmann und Nokia, Lycos, RTL und der FAZ.

Großes Ziel der Banker: Geschäftsvorgänge sollen vereinfacht und zusätzliche Finanzprodukte abgesetzt werden. Künftig soll die moderne Kommunikationswelt vor allem aus Handy-Besitzern bestehen, die sich aktuelle Infos per Telefon zukommen lassen, gleich entscheiden können, ob sie an der Börse tätig werden wollen, um die realisierten Gewinne sofort neu zu investieren.

Wie die Deutsche Bank handeln inzwischen auch die anderen Großen: Die Dresdner Bank kooperiert mit dem Auktionshaus E-Bay und Autovermieter Sixt, die Commerzbanktochter Comdirect hat vor wenigen Tagen eine Allianz mit T-Online verkündet, während Telekom-Chef Ron Sommer gerade für seine vor dem Börsengang stehende Online-Sparte einen Einstieg in das europäische Reisegeschäft über das Reisevertriebssystem Start Amadeus ankündigte. Und bei der Münchner HypoVereinsbank wurde die Projektgruppe „Webpower“ gleich mit 100 Millionen Euro für strategische Allianzen ausgestattet.

Im Internet, so HypoVereinsbank-Chef Albrecht Schmidt, entscheide sich der Wettbewerb von morgen. Bernd Fahrholz vom Vorstand der Dresdner Bank: „Bisher sprachen wir bei Fusionen und Zusammenschlüssen immer über die Beziehung Bank-Bank. Heute gehen wir auch von anderen Konstellationen aus.“

Dafür wollen sich die Banker lieber heute als morgen von ihren traditionellen Geschäftsfeldern trennen, die viel Aufwand und verhältnismäßig wenig Ertrag bringen. Der defizitäre Zahlungsverkehr soll an externe Dienstleister ausgelagert werden, das gesamte Retail-Geschäft könnte auf eine einzelne der Großbanken, vermutlich die Münchner HypoVereinsbank, vereinigt werden. Deren Vorstandssprecher Schmidt hatte schon angekündigt, mit jedem zu sprechen, der seine Interessen im Privat- und Firmenkundengeschäft mit ihm koppeln wolle.

Das Firmenkundengeschäft macht den meisten Instituten auch seit Jahren keine rechte Freude mehr – hohe Risiken und geringe Gewinnmargen werden eher als lästig empfunden. Wenn sich traditionelle und neue Unternehmen in allen Bereichen der Wirtschaft ohnehin verstärkt über Aktien und damit die Kapitalmittel des Marktes finanzieren, verliert dieser Bereich ohnehin an Bedeutung. So stürzen sich die Banker auf das lukrative Investmentbanking – und die wohlhabenden anlageinteressierten Kunden, die den Banken die liebsten sind, folgen begeistert.

Horst Peter Wickel