„Ist denn der Embryo kein Mensch?“

Dietmar Mieth, Ethikprofessor an der Uni Tübingen, hält Zellgewinnung aus menschlichen Embryonen für moralisch fragwürdig. Die Gewährung des Patents sei ein großer Tabubruch

taz: Bedeutet das neue Patent einen Einstieg in die genetische Züchtung des Menschen?

Mieth: Nicht unbedingt. Man versucht ja vorerst nur, aus den Embryonen Stammzellen zu gewinnen, um mit denen zu arbeiten.

Das wäre also technisch möglich: aus Embryonen Zellen zu gewinnen, um daraus Transplantationsorgane oder neues Hautgewebe zu züchten.

In Zukunft vielleicht ja. Es gibt aber zwei Hürden in der europäischen Patentrichtlinie. Erstens muss eine Manipulation der Keimbahnzellen ausgeschlossen sein, was in dem gerade vergebenen Patent nicht gemacht wurde. Zweitens muss so ein Patent den guten Sitten entsprechen, und in unserer Gesellschaft herrscht die Meinung vor, dass solche Manipulationen am Embryo unmoralisch sind.

Die Inhaber des Patents von der Uni Edinburgh erklären, sie wollen keine genmanipulierten Menschen herstellen.

Erstens hätten sie das so deutlich auch in ihren Patentantrag schreiben müssen. Zweitens: Was heißt hier genmanipulierte Menschen? Ist denn der Embryo kein Mensch? Man ist sich weithin einig, dass der Embryo ein menschliches Lebewesen ist. Da ist es fragwürdig zu sagen, man wolle kein genmanipulierten Menschen und gleichzeitig am Embryo zu manipulieren. Ich halte das für ethisch problematisch.

Nun gibt es auch seriöse Forscher, die fragen: Ist es denn so schlimm, von einem Embryo Zellen zu entnehmen, wenn man damit Transplantationsorgane oder Haut für Menschen mit schweren Verbrennungen züchten kann?

Das ist moralisch fragwürdig. Man müsste dafür den Embryo opfern, um ein Ziel zu erreichen, dessen man nicht sicher sein kann. Die Befürworter verlangen immer eine Güterabwägung: Doch sie wägen hier etwas, das möglicherweise erreichbar ist, gegen Realitäten ab.

Haben die Firmen nicht ein Recht auf den kompletten Schutz ihrer neu entwickelten Technik? Vielleicht ändert sich ja eines Tages die Meinung der Gesellschaft zum Eingriff in die Keimbahn.

Das ist in sich völlig unsinnig. Das Patentrecht basiert ja auf dem geltenden Recht. Etwas zu patentieren, was gesetzlich verboten ist, wäre daher absoluter Unfug.

Gibt es Hinweise, dass diese Technik in anderen Ländern erlaubt werden könnte?

Diese Technik ist noch komplett im Versuchsstadium und so riskant, dass man es nur an Tieren macht. Dass hier das vorliegende neue Patent den Menschen einschließt, ist eine Ungeheuerlichkeit. Und gerade in Großbritannien, wo die Patentinhaber herkommen, gab es eine heftige Debatte darüber. Dort hatten die Aufsichtsbehörden 1998 zunächst Zellgewinnung aus Embryonen empfohlen. Dies wurde 1999 vom Parlament zurückgewiesen. Auch in Deutschland ist es verboten.

Das Patentamt erklärte, es sei bloß ein Versehen gewesen, dass Experimente an der Keimbahn des Menschen im Patent nicht ausgeschlossen wurden.

Das ist zunächst ein großer Tabubruch. Man kann natürlich immer über Tabus diskutieren, aber das sollte man machen, bevor man sie bricht. Außerdem ist es ganz schlicht eine Verletzung der Rechtsaufsicht – von einem sehr bedenklichen Ausmaß.

Interview: Matthias Urbach