„Man braucht das Klonen nicht“

Regine Kollek, Professorin in Hamburg und Vorsitzende des Ethikbeirates beim Gesundheitsministerium, befürchtet, dass mit der Zulassung des Gen-Checks von befruchteten Eizellen Embryonen auch für die Forschung freigegeben werden

taz: Den geklonten Menschen darf und soll es nicht geben, heißt es fast einhellig bei Wissenschaftlern und Politikern. Jetzt steht das deutsche Embryonenschutzgesetz zur Disposition. Wird damit auch das Klonverbot fallen?

Regine Kollek: Für mich ist noch nicht ausgemacht, dass das Schutzniveau des deutschen Embryonenschutzgesetzes zur Disposition steht. Es wird darüber diskutiert, das Gesetz in seiner jetzigen Form zu verändern. Es soll in ein Reproduktionsmedizingesetz überführt werden, in dem unter anderem auch Fragen der Elternschaft, des Einfrierens von Keimzellen oder Embryonen und auch der heterologen Insemination geregelt werden sollen. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass der Schutz für Embryonen gesenkt wird.

Aber von Wissenschaftlern wird der Druck, endlich bessere Rahmenbedingungen für das so genannte therapeutische Klonen zu schaffen, immer größer?

Dabei geht es um die Erzeugung so genannter embryonaler Stammzellen. Über die möchte man verfügen, um neue Therapien entwickeln zu können. Durch die Transplantation solcher Stammzellen sollen geschädigte Organe und Gewebe oder auch Nervenzellen regeneriert werden.

Muss dazu nicht das Verbot für Forschungen mit Embryonen gelockert werden?

Nicht notwendigerweise. Stammzellforschung kann unter den bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen durchgeführt werden. Gewebespezifische Stammzellen lassen sich direkt aus dem Körper erwachsener Menschen isolieren. Pluripotente Stammzellen, die noch verschiedene Zelltypen bilden, können aus abgetriebenen Embryonen gewonnen werden. Dafür braucht man das Klonen nicht. Das sieht auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft so. Sie sagt auch, zur Zeit sei eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes nicht notwendig, weil andere Möglichkeiten beständen, mit Stammzellen zu forschen. Die Frage des so genannten „therapeutischen Klonens“ wird sich dann neu stellen, wenn das therapeutische Potenzial embryonaler Zellen auch beim Menschen belegt ist. Heute ist noch nicht klar, ob sich die Befunde aus Tierversuchen auf Menschen übertragen lassen.

Hat sich auch der Ethikbeirat des Bundesgesundheitsministeriums mit dem Klonen beschäftigt?

Noch nicht. Wir haben zwei Aufträge, die wir hoffentlich in diesem Jahr erledigen können. Zum einen sollen Empfehlungen zum Umgang mit der Prädiktiven Diagnostik ausgearbeitet werden. Als Zweites stehen Fragen zur Reproduktionsmedizin auf der Tagesordnung. In diesem Zusammenhang werden wir uns mit der Präimplantationsdiagnostik und mit dem Klonen befassen.

Auch bei der Präimplantationsdiagnostik, kurz PID genannt, scheint die verbrauchende Embryonenforschung ein wichtiger Angelpunkt zu sein. Wird es bei einem Verbot bleiben oder wird demnächst der Gen-Check für Embryonen im Acht-Zell-Stadium kommen?

Wenn die PID zugelassen wird, wird man kaum umhinkommen, auch an Embryonen zu forschen, allein schon, um die Methode zu etablieren und zu verbessern. Das Interesse wird wachsen, Embryonen, bei denen Erbschäden diagnostiziert worden sind, für die Forschung zu verwenden – sie würden ja ohnehin verworfen werden. Insofern ist die Embryonenforschung praktisch Bestandteil und logische Konsequenz einer Embryonendiagnostik. Ähnliche Dynamiken kennt man aus anderen Bereichen medizinischer Technikentwicklung, und es wäre naiv, die Augen davor zu verschließen. Diese Aspekte sind bislang kaum diskutiert worden.

Die Bundesärztekammer wird morgen einen eigenen Richtlinienentwurf für den Umgang mit PID veröffentlichen. Es gilt als ziemlich sicher, dass sie für die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik plädieren wird.

Das ist richtig. Sie wird sich sicherlich für eine genetische Untersuchung des Embryos nach dem Acht-Zell-Stadium aussprechen. Mit der Begründung, dass zu diesem Zeitpunkt die Zellen nicht mehr totipotent sind.

Und damit wäre die PID auch ohne Änderung des Embryonenschutzgesetzes erlaubt?

Totipotente Zellen werden nach Paragraf 8 des Embryonenschutzgesetzes definitionsgemäß als Embryos angesehen, weil sich aus ihnen noch ein vollständiges Lebewesen entwickeln kann. Die Entnahme einer solchen Zelle und ihre Vernichtung, die bei der Diagnose unausweichlich ist, käme der Vernichtung eines Embryos gleich. Und das ist nach dem Gesetz untersagt. Hätte die Bundesärztekammer Recht und die Totipotenz wäre nicht mehr vorhanden, fielen diese Zellen nicht mehr unter diese Regelung.

Sie sind mit dieser Schlussfolgerung nicht einverstanden?

Nein. Die bisherigen Befunde aus Tierversuchen und aus solchen an menschlichen Embryonen lassen nicht die Schlussfolgerung zu, dass nach dem Acht-Zell-Stadium keine Totipotenz mehr vorhanden ist. Kürzlich sind achtzellige Schimpansenembryonen in vier mal zwei Zellen aufgeteilt und die entsprechenden Zweizeller zu neuen Embryonen regeneriert worden. Das weist darauf hin, dass auch die Zellen im Acht-Zell-Stadium noch totipotent sein können.

Das heißt, die entscheidende Frage, ob PID zulässig ist oder verboten bleibt, ist im Grunde die Definitionsfrage: multipotent, das heißt, die Zelle ist nicht mehr voll entwicklungsfähig, oder totipotent?

Die Frage der Totipotenz ist nicht die einzige, die der Zulassung der PID entgegensteht. Das Gesetz verbietet auch, Embryonen zu anderen Zwecken zu erzeugen oder zu verwenden als zur Herstellung einer Schwangerschaft. Auch diese Bestimmung spricht gegen eine Zulassung der PID im Rahmen des derzeitigen Embryonenschutzgesetzes.

Deutschland ist eines der wenigen Ländern in denen PID nicht zugelassen ist ...

In der Schweiz, Österreich und auch in Portugal bestehen ebenfalls Verbote.

In vielen anderen Nachbarstaaten aber ist der Gen-Check erlaubt. Wie wollen Sie verhindern, dass ein PID-Tourismus einsetzt? Es ist ja bereits ein Fall bekannt geworden, bei dem ein Ehepaar es erst erfolglos bei uns versucht hat, dann aber ins Ausland gegangen ist?

Ja, obwohl das gar nicht hätte sein müssen. Dieser Fall hätte durchaus im Rahmen des Embryonenschutzgesetzes mit Hilfe der so genannten Präkonzeptions- oder Präfertilisations-Diagnostik behandelt werden können. Dabei wird die Gen-Untersuchung gemacht, bevor ein Embryo entsteht. Sie wird an den Polkörperchen durchgeführt, die von den weiblichen Eizellen gebildet werden. Dazu muss man wissen, dass Eizellen nur einen einfachen Chromosomensatz haben. Während der Reifeteilung wird – vereinfacht gesprochen – die eine Hälfte des Genoms in ein so genanntes Polkörperchen gepackt; das ist eine verkümmerte Zelle, die sich zwischen der Eizelle und dem Eihäutchen befindet. Das Polkörperchen kann isoliert und genetisch untersucht werden. Genetisch auffällige Eizellen können so von der Befruchtung ausgeschlossen werden.

Das ist für Sie die Alternative zu PID?

Es ist immer sinnvoll, bei problematischen Techniken über Alternativen nachzudenken und ihre Vor- und Nachteile ebenfalls zu untersuchen. Die Polkörperdiagnostik würde, da sie an Eizellen und nicht an Embryonen durchgeführt wird, keine Veränderung des Embryonenschutzgesetzes erfordern. Dadurch würde auch verhindert werden, dass Embryonen für andere Zwecke freigegeben werden. Bemerkenswerterweise hat man sich gar nicht darum bemüht, die Polkörperdiagnostik in Deutschland zu etablieren, obwohl sie im Ausland häufiger durchgeführt wird als die Diagnostik an Embryonen.

Aber eine genetische Selektion, das Treffen einer Vorauswahl, was einmal ein Embryo werden darf, findet mit dieser Methode auch statt?

Das ist richtig. Obwohl nicht in dem gleichen Ausmaß wie bei der Präimplantationsdiagnostik von Embryos, weil bei der Polkörperdiagnostik nur das mütterliche Erbmaterial selektiert wird. Bei der Samenzelle ist diese Methode nicht anwendbar.

Wo aber sollen die Grenzen gezogen werden? So haben Sie selbst einen Fall beschrieben, bei dem PID eingesetzt wurde, um lediglich herauszufinden, ob eine Disposition für eine Krankheit besteht – man also nicht einmal sicher sein konnte, ob diese Krankheit später jemals ausbricht.

Das Spektrum der erkennbaren Erbkrankheiten, Krankheitsveranlagungen und anderer Merkmale wächst mit dem Fortschreiten der Humangenomforschung – und so auch die Möglichkeiten zur Selektion. Da die PID im Reagenzglas stattfindet, kann sie leicht die Grenzen überschreiten, die der Pränataldiagnostik heute durch einen im Zweifelsfall drohenden Schwangerschaftsabbruch gesetzt sind. Interview: Wolfgang Löhr