Rettung der Helden an Front und Werkbank

■ Froschgequake als akustischer Mehrwert der Revolution: Mit den Mitteln des frühen Tonfilms erzählt Nikolai Ekks Der Weg ins Leben von sowjetischen Crashkids

Wer längst laufen gelernt hat, muss sich langsam auch über das Sprechen Gedanken machen. Doch ein Kind, das auf der Leinwand die Lippen bewegt und dazu vernehmlich „Mama“ sagen kann, ist nicht gerade der Inbegriff revolutionärer Ästhetik. Und um solch unerträglichen Illusionismus gar nicht erst zu dulden, unterzeichneten Eisenstein und andere ein „Manifest“ über den Tonfilm. Asynchron sollte er sein, die Idee der Montage kontrapunktisch ins Akustische übersetzen.

Doch auch in Amerika und Europa wurde von Arnheim bis Chaplin über den Tonfilm und die Gefahr seiner naturalistischen Ausrufungszeichen heftig debattiert. Schließlich sollten in seinem Gefolge nicht nur Stummfilmstars eingemottet, sondern überhaupt alle expressionistischen Errungenschaften allzu leicht untergraben werden.

Der Nachwuchsregisseur Nikolai Ekk lieferte mit seinem Film Der Weg ins Leben 1931 nicht nur eine Gegenposition zu den gängigen Agitpropfilmen und kulturpolitischen Auftragsarbeiten. Es war auch der erste Tonfilm, der sich an eine neue Dramaturgie wagte, die sich den Einsatz ihrer akustischen Möglichkeiten sorgfältig überlegt hatte.

Im Mittelpunkt stehen die „Besprisorni“, die verwahrlosten Waisenkinder, wie sie der Bürgerkrieg in der UdSSR zu Hunderttausenden hinterlassen hatte. Ekks stellt ein ungewöhnliches pädagogisches Programm vor, das auch im Ausland große Beachtung fand. Das Leben in einer Kommune sollte drakonische Strafen und die Zermürbungsarbeit in Erziehungsanstalten ablösen. Der Prolog, eine dokumentarische Übersicht über die Delikte der Besprisorni, wurde in den Straßen Moskaus aufgenommen. Die Kinder, die ein junger Erzieher betreut, bauen am Ende eine Eisenbahnlinie und singen ein Lied auf die die Kollektivarbeit, allerdings nicht ohne sich gegen Saboteure zu wehren und den Einflüsterungen der verlotterten Welt in Gestalt von Säufern und syphiliskranken Dirnen entsagen zu müssen. Aber welcher Sittenfilm kommt schon ohne Medusen und Schlampen aus, wenn es um die Rettung des Helden an Front und Werkbank geht? Doch wenn sich das Lied eines begeisterten Kommunarden mit Rädergeratter und Froschgequake zu einem ahnungsvollen Potpourri vermischt, die Sonne sich dazu langsam ausknipst, und im nächsten Bild ein Mord geschieht, beginnt in diesem Wechsel die Ästhetik des sowjetischen Tonfilms. Und der klingt vielversprechender, als jedes „Mama“, leider auch als die Produktionen, die ihm folgen sollten. Birgit Glombitza

Do, 24.2, 21.15 Uhr, Metropolis (Einführung: Thomas Tode)