„Was für ein Gesicht“

Zur Premiere von „Libero Burro“ zeigen die Zeise-Kinos eine Werkschau des Schauspielers Sergio Castellitto  ■ Von Tobias Nagl

„Was für ein Gesicht! Sie sitzen auf einer Goldmine“, biedert sich der – heute würde man sagen: Casting-Agent – Sergio Castellitto in Der Mann, der die Sterne macht einem potentiellen Kunden an. Gemeint haben könnte er allerdings genauso gut sich selbst. Denn der inzwischen 44-jährige Ex-Theater-Schauspieler hat ein Ausnahmegesicht, das ihn nach Lehrjahren beim Fernsehen nicht nur im italienischen, sondern längst auch im französischen Kino in die allererste Liga emporgehoben hat: Zu bewundern war seine Präsenz und Vielseitigkeit bereits bei Ettore Scola, Ferreri, Luc Besson oder Guiseppe Tornatore.

Am ehesten erinnert er noch an John Torturro. Doch wo der nicht zuletzt fester Bestandteil des postmodernen Genrezaubers der Coen-Brüder ist, seine Latin-Lover-Rollen immer Zitat und damit letztlich durchschaubare Maske bleiben, sind Cas-tellittos Figuren nicht eigentlich leer, sondern gebrochen. Noch spitzer sticht sein Mausgesicht samt Überbiss hervor, und nie kann man sicher sein, ob sein gequält-verschmitzes Lächeln Manierismus oder Anflug der nächsten nervösen Kolik ist.

Diesem Mann wurde ein Stoß versetzt, und da kann das Enigma Frau nicht weit sein. Was das Weib will, weiß er noch weniger als Sigmund Freud, der seinen Geschlechtsgenossen die Frage einst stellte; als ausgemachter „Latin Loser“, als Ritter von der traurigen Gestalt der patriarchalen Ordnung, wandelt er nicht zuletzt auch auf den Spuren eines Marcello Mas-troianni. Als vollständige „Männerphantasie der Frau“, so Laetitia Masson in einem Interview, erzählt sich deren an Film-noir-Konventionen angelehnter A Vendre/Zu verkaufen. Um Liebe geht es darin, die getauscht wird wie Geld: um die Ware Liebe somit, der sich France Robert (Sandrine Kimberlain) trotzig mit Sommersprossen widersetzt, indem sie die stillen bürgerlichen Übereinkünfte kündigt und Geld nimmt für die Liebe. Nicht etwa, weil die Not sie dazu triebe, sondern weil sie „niemands Sklave sein will“. Der Privatdetektiv Castellitto ist ihr auf den Fersen, nachdem France einen ahnungslosen Liebhaber kurz vor der Hochzeit hat sitzen lassen. Die Frau sei ein Symptom des Mannes, argumentierten die Feministinnen der 70er Jahre mit Lacan. „Ich bin France Robert“, muss sich Castellitto eingestehen, als er ihr Leben vollständig vor sich ausgebreitet sieht – und doch nichts wirklich von ihr weiß außer Projektionen. Lebendig wird dieses Psychodrama über die Fallen der Geschlechterordnung jedoch nicht so sehr durch seine Theorie, als durch das Spiel Kimberlains und Castellittos, der die Desintegration des männlichen Blicks kaum nervöser in Szene hätte setzen können.

Freudianisch als Fetischismus ausgedeutet tritt ihm dieses Insistieren weiblicher Lust auf einen Ort jenseits des Mannes im Kos-tümfilm Der Schrei der Seide entgegen. Seidenstoffe und sonst nichts und niemand versetzen die Schneiderin Marie (Marie Trintignant) in sexuelle Exstase. Cas-tellitto, in der Rolle eines jungen Psychoanalytikers, beginnt die immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geratende Frau zu untersuchen. Doch zunehmends weicht sein wissenschaftlich-therapeutischer Blick dem des Liebenden. Statt das Gesetz wieder herzustellen, verfällt er seiner Obsession. Der Preis ist hoch: Blindheit und Suizid.

Ähnlich tragisch endet auch Ferreris erotische Komödie La Carne, in der der Pianist Castellitto das sich ihm wieder entziehende Objekt seiner Begierde tötet, um es sich schließlich einzuverleiben: Fließend gleitet er dabei von den humoristischen in die um so dramatischeren Register. Und als Psychoanalytiker begegnet uns Castellitto ein weiteres Mal in Il grande Cocomero, der ein unter Epilepsie leidendes Mädchen heilt – und von ihr mit den Wunden seines eigenen Lebens konfrontiert wird.

Wo all diese Filme ihren psychoanalytischen Interpreta-tionskontext bereits enthalten, bezieht sich Der Mann, der die Sterne macht zunächst auf das Kino selbst: als Cinephilie und Hommage an die Poesie des Alltags, wie sie der italienische Neorealismus propagierte. Castellitto zieht darin durch das Sizilien der Nachkriegsjahre und verkauft dem Landvolk „Probeaufnahmen“ für eine spätere Leinwandkarriere. Doch anders als in Tornatores Cinema Paradiso trügen die Glücksversprechen des Kinos und der Liebe bereits von Anbeginn: Die Kamera ist leer; die Geliebte des Hochstaplers verendet in der Psychatrie. „Im Kino ist es wie beim Auswandern“, lautet eines der Bonmots des Film, „einer pro Dorf reicht“. Ein Glück , wenn es sich dabei um jemanden wie Sergio Castellitto handelt.

Der Mann, der die Sterne macht: Do, 24.2. + Fr, 25.2., jeweils 20 Uhr Der Schrei der Seide: Sa, 26.2., 17.30 Uhr + Mo, 28.2., 20 Uhr Libero Burro (Gast: Sergio Castellitto): Sa, 26.2., 20 Uhr Il grande cocomero: Sa, 26.2., 22.30 Uhr + So, 27.2., 20 Uhr Rossini, Rossini : So, 27.2., 17.30 Uhr A Vendre/Zu Verkaufen: Di, 29.2., 20 Uhr La Carne: Mi, 1.3., 20 Uhr, Zeise-Kinos