Radikaler Breakbeat

„Neue Musik im Austausch“: In der Opera stabile erklingen heute Werke des 20. Jahrhunderts  ■ Von Roger Behrens

Was sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts als musikalische Moderne durchsetzte und die Auflösung der klassischen Formen propagierte, vermochte sich höchstens ästhetisch als Avantgarde zu behaupten. Die Neue Musik, noch im Zeichen des Jugendstils, durchbrach in der freien Atonalität das Alte, ohne dabei die Tradition aufzugeben – auch der Fortschritt der Kunst konterkarierte nur die Regression der Gesellschaft, wie Adorno bereits am Neoklassizismus Strawinskys aufzeigte. Die Neue Musik, so Adorno in seinem Befund, alterte – gegen den technologischen Fortschritt der Unterhaltungsmusik hatte sie keine Chance, außer die der Anpassung an die Logik des Kulturbetriebs. Die stilistische Offenheit und gar die Aufhebung des Musikalischen, die von der Seriellen Musik Saties bis zum Komplexismus Ferneyhoughs programmatisch gefasst wurde, stand immer im Schatten einer erwachsen werdenden Popkultur, stilistisch zwar eingeschränkt, aber im Sinne der klanglichen Mode zeitlos und rauschhaft-plural zugleich.

Der wahre Impuls der Modernisierung des 20. Jahrhunderts war ein rhythmischer, die Radikalität der Dissonanz ruht im Breakbeat. Bevor nun etwas hilflos und emphatisch gleichermaßen nach der Musik des 21. Jahrhunderts gefragt wird, wie es der Komponist und Habermas-Schüler Claus-Steffen Mahnkopf unternimmt („Kritik der neuen Musik“, Bärenreiter 1998), sollte das Phänomen der „zeitgenössischen Musik“, die im 20. Jahrhundert so wenig Zeitgeist war, materialgerecht untersucht werden. Der diesmalige Konzertabend in der Reihe „Neue Musik im Austausch“ bietet dafür die Gelegenheit, und unter dem Titel „Musik des 20. Jahrhunderts“ wird ein Panorama geboten, welches die ganze Ambivalenz der musikalischen Avantgarde vorstellt.

Der Sache gemäß – und sicher nicht nur, weil Schlagzeuger Frank Polter zusammen mit Dominique Goris das Programm zusammenstellte – steht das Rhythmusproblem im Vordergrund, an dem dann Anbruch, Altern und Austausch der Neuen Musik ablesbar wird. Eröffnet wird der Konzertabend mit Verdis Streichquartett e-moll von 1873: Kammermusik im Opernstil. Von dort aus bestimmt das Scardanelli-Quartett den programmatischen Gegenpol mit Hans-Christian von Dadelsens Karakoram von 1994. Das Einfache Verdis wird hier durch komplexe primzahlige Taktphasen kontrastiert (17/16-Takt).

Ein besonderer Austausch steht dann im Zentrum des Abends: Ecologue für Flöte und Schlagzeug, eine Kompsition von Teruyuki Noda aus dem Jahre 1970, vereint traditionelle japanische Musik mit westlicher Avantgarde. „Ist die freitonale Tonsprache eher westlich inspiriert, so sind Gestus und Klangfarben der Volksmusik seines Heimatlandes entnommen“, schreibt Polter, der zusammen mit der Flö-tistin Natalie Siering die Komposition aufführen wird. Sergej Prokofieffs Quintett op. 39, für Klarinette, Oboe, Violine, Viola und Kontrabass (1924) ist wiederum ein Kontrapunkt durch die rhythmische Stringenz des Neoklassischen; das spielerische, doch streng Tänzerische, gleichsam Ländliche akzentuiert ebenso die Spannung zu Dadelsens Gebirgsbild (das Karakoram-Gebirge liegt am oberen Inntal – eine weitere Ost-West-Brücke).

Mit den Fünf Liedern für Sopran und Klavier nach Gedichten von Manfred Hausmann von Goris, der Julia Barthe am Klavier begleitet, wird das Konzert beschlossen. Die Lieder setzen einen Fluchtpunkt im Programm, ähnlich wie die Lieder am Ende von Mahlers dritter Sinfonie: kein Finale, sondern ein Ausklang. Auch hier wird das Expressive, welches bereits bei Prokofieff begegnete, wieder eingeholt, diesmal als holsteinische Utopie: Goris vertont aus Hausmanns „Worpsweder Bändchen“ die Zeilen: „Die Traumwelt stand/ bewegungslos im ersten Grau der Frühe./ ...Ich ging vorbei an Blume, Baum undTier,/ ging fort und ging doch immer nur zu dir.“

heute, 19.30 Uhr, Opera stabile, Büschstraße 11