Ich sagte: man

■ M.I.B. präsentierte eines seiner (aber)witzigen Avantgarde-Konzerte

Ein Schultrauma: A long time ago trug mein Leipert ein Gedicht vor. Es war vertrackt. Aber auch faszinierend. Abgründig, klaustrophobisch, vielschichtig. Niemand konnte es interpretieren. Ich schon – und war stolz. Nach meiner feinsinnigen Deutung outete Lehrer Leipert, dieser fiese Himbeertoni, das Gedicht als Willkürprodukt, zusammengewürfelt von einem hirnlosen Zufallsgenerator. Alle lachten mich aus. Immerhin weiß ich seitdem, dass alles mit Bedeutung gefüllen werden kann – Fliegendreck, Schimmelpilz ... lauter verborgene Nachrichten über das Leben. Die Bremer Multi-Künstlerin Anne Schlöpke weiß das auch.

Für ihren Beitrag zum Improvisations-Konzert in der M.I.B. (Musikerinitiative Bremen) holte sie sich aus irgendwelchen Texten – einer von taz-Autor Helmut Höge war auch dabei – jedes achtzehnte Wort, ganz schematisch. Eigentlich ein Garant für Sinnlosigkeit pur. Doch was herauskam war eine messerscharfe Beschreibung von Bremens Kulturmisere. Hören Sie selbst: „Oder arbeiten Ideen... dort Fummel dabei... falsch halb drei sprechen erinnern... hätten hatte.“ Ja, ja, man „hätte“ ja sooo gerne, aber damit „hatte“ es sich auch schon in der Kulturbehörde. Statt „Ideen“ zu erarbeiten, spricht die Behörde nichts als „Fummel“, ohne Sinn für Erinnerung. Die M.I.B. wird nämlich im März zehn Jahre alt. Und nichts, keine WestLB, in Sicht, die 165.000 Mark für ein rauschendes Geburtstagsfest bereit hätte. Stattdessen kam für den ehrenamtlichen (!) M.I.B.-Chef Hainer Wörmann aus der Kulturbehörde die Andeutung einer Kürzung seines Minimini-Etats von 15.000 Mark (für eine Jazzschule und zwei Konzertreihen) auf 5.000 Mark. Nun ist eine der Konzertreihen (die mit Improvisationsmusik) in der Tat kein Publikumsrenner. Doch das M.I.B. ist der einzige Ort in Bremen und umzu (wunderschön loftig und samtblauverhangen ist er noch dazu), wo Jazz alle Fesseln der Metrik und Harmonik abgelegen darf, analog zu Schönberg, Boulez, Cage. Prädikat unverzichtbar.

Auch Gitarrist Frank Rühl aus Gießen und Bassist Heinz Peter Hofmann aus Darmstadt wollen nicht mehr unterscheiden zwischen E-Musik–Avantgarde und neuem Jazz. In der Schweiz wird diese Musik von der GEMA längst unter E verschubladet. Rühl-Hofmann spielten nach der Pause. Sie ignorieren standesgemäß die üblichen Bedienungsanleitungen für ihre Instrumente. Mit wenig artgerechter Behandlung (durch Streicherbögen oder Hölzchen) kitzeln sie aus ihnen Klangfarben, so unwirklich, poetisch und schräg wie ein Fledermaushecheln, Meeresgrundflüs-tern, Baumwurzeldialoge, Gold-staubrieseln oder das Bauchgrimmen des Mondes.

Die Form wirkt chaotisch und ist doch nichts anderes als der Ausdruck eines humanistisch-demokratischen Bewusstseins: Jeder Musiker hört dem anderen zu und geht doch ganz autark seiner eigenen Wege. Und wenn sich doch mal eins zum anderen fügt, dann nicht wie in barocker Polyphonie durch Imitation, Umkehrung, Spiegelung, sondern durch Ergänzung. Wie Stockhausen suchen die beiden immer mal wieder in isolierten, zusammenhangsbefreiten Tönen, die nichts haben als sich selbst, nach dem Moment. In der Romantik hieß das mal „erfüllter Augenblick“. Sobald sich Muster oder Melodielinien zu verfestigen drohen, wird der Rucksack geschnürt und weitervagabundiert. Wenn Bremens Kulturpolitiker genauso viel Selbstständigkeit und Wagemut besitzen würden wie diese Musikpatterns, dann ... aber lassen wir das.

Auch Anne Schlöpke bekämpft eingefrorene Sinnzusammenhänge. Wenn – wie manche Sprachtheorien behaupten – Grammatik unser Denksystem strukturiert, dann müsste es möglich sein, unsere Intelligenz zu erweitern durch eine Erneuerung der Grammatik. „Seine Luft verfocht sich ein Mal – ich sagte: man, und zeigt Fenster deswelchen irgendein empört.“ Und mit der Zeit steigen aus dem Schwachsinn neue Gedanken hervor, zwar schemenhaft, aber spannend. „Ich sagte: man.“ Auch Hainer Wörmann sagt nicht „man“ in seiner Schlöpke-Begleitung und verlockt seine Gitarre zur unaufgeregten, zarten Zwiesprache mit Korken, Zahnbürste, Nägeln. bk

Zum Vormerken: 73. Improvisations-Konzert am 28.3.