Abfahrt über dem Abraum

Im Ruhrgebiet soll die längste überdachte Skipiste der Welt entstehen. Einer der Betreiber ist der ehemalige Weltcupsieger Marc Girardelli aus Österreich ■ Aus Bottrop Michael Schophaus

Vor der weißen Pracht kommt zuerst einmal das schwarze Gold. So könnte es was werden mit Bottrop.

Imma dattsälbe! Wer Spott meint im Pott, sagt Bottrop. Wenn es um Dreck geht und miese Luft oder um eine Sprache, die schon Jürgen von Manger auf die Schippe nahm. Der Ruf ist dahin und mehr als bescheiden, wer täglich unter Tage malocht, ist nur selten ganz oben. Daran haben auch die Kommunisten im Rathaus nichts geändert und schon gar nicht die Polen: Als sie vor vielen Jahren Einzug hielten, hieß es, in Bottrop werde jetzt mit Zloty bezahlt. Dabei gibt es zwischen Essen und Gelsenkirchen nicht nur das Schwarze unter den Fingernägeln oder Pommes an der Bude. Die Freizeitparks und Einkaufscenter brummen, die Kultur ist schräg und angesagt, und selbst der bekannte Intendant August Everding erwähnte immer gern, dass er „von Bottrop wech is“. Auch TV-Moderatorin Ulla Kock am Brink wirbt stolz damit, wirklich zu wissen, wie die Emscher stinkt. Sie wuchs nicht weit von der Kloake auf.

Doch jetzt geht es bergauf mit Bottrop. Oder besser bergrunter. An einem Hang, den es nur gibt, weil ihn der Bergbau vor vier Jahren ausspuckte. Dort soll, auf einer hohen Kohlenhalde aus Abraum und Schutt, die längste überdachte Skipiste der Welt entstehen und für fortwährenden Wedelspaß sorgen, indem man sich den Winter ganz einfach in die Halle holt. Mit einer Abfahrt von 508 Metern, einem Hotel, Diskothek, Reisebüro, Fitnesscenter, Langlaufloipe und naturgetreuen Almhütten mit riesigen Glasscheiben. Für Anfänger und Möchtegern-Tombas und solche, die vielleicht nur mal gucken wollen, wie das so geht mit dem Brettern auf den Brettern. Denn in Bottrop gibt es noch so manchen, der Skifahren nur von seiner Glotze unterm Häkeldeckchen kennt oder vom Kururlaub im benachbarten Sauerland.

Die Sache kommt langsam in Fahrt. Die ersten Verträge sind unterschrieben, nach langem Hin und her, und Bottrops volksnaher Bürgermeister Ernst Löchelt freut sich schon auf seine erste Abfahrt, hoffentlich am Ende nächsten Jahres, „auch wenn ich da bloß im Pflugbogen runtereiere“. Außerdem ist ein zusätzlicher Sponsor aus Bremerhaven gefunden worden, der an das 100 Millionen Mark teure Wagnis glaubt, mit Skifahren in Bottrop Kohle zu machen. Die eigentlichen Macher Helmut und Marc Girardelli aus Österreich brauchen sowieso nicht mehr überzeugt zu werden. Sie betreiben schon eine ähnliche Anlage im belgischen Antwerpen, auch nicht gerade Hochgebirge, und haben großen Erfolg damit. „Wir wollen Spaß an unserem Sport verbreiten“, sagen sie, „aber so, dass ihn sich jeder leisten kann.“

Sie müssen es wissen. Vater Helmut ist ein gewiefter Geschäftsmann und Sohn Marc war einer der besten Skirennfahrer des letzten Jahrzehnts. Ein harter Kerl von der kräftigen Statur eines Bergmanns, der sich trotz zahlreicher Verletzungen durchbiss zu großen Erfolgen. Vor kurzem fuhr er unter Tage ein und war voll des Lobes für die Arbeit im Stollen. Vor der weißen Pracht kommt zuerst einmal das schwarze Gold. So könnte es was werden, mit ihm und Bottrop.

Auch Frau Kleinheins sieht sich fast am Ziel. Sie wirbt für ein Oberbayern neben Oberhausen und schuftet dafür, dass man sich beim Abfahren bald die Kante gibt mit Blick auf den Förderturm. Sie ist Chefin der Abteilung „Verbindliche Bauleitungplanung“ im Bottroper Rathaus und sitzt in einem kleinen Zimmer, das sehr nach Arbeit aussieht. Überall liegen Pläne, Skizzen und Verordnungen herum, seit einigen Monaten wühlt sie sich mit gekonntem Wissen durch die Vorschriften und Gesetze. Und davon gibt es viele auf so einem Amt. Zum Beispiel das Gebietsentwicklungsplanänderungsverfahren, den Flächennutzungsplan, der feststellen soll, ob die Halde „ordnungsgemäß geschüttet“ wurde und keine Kohle mehr besitzt, die eines schlechten Tages brennen könnte. Oder der Bebauungsplan, der spätestens im nächsten Frühjahr im Schaukasten unten am Eingang aushängen wird, wenn behördlicherweise geklärt worden ist, dass kein Frosch ums Überleben kämpfen und kein Baum zu viel umfallen muss.

Natürlich redet jeder mit, die Parteien der SPD-regierten Stadt, die Geldgeber, die Unternehmer, die Einzelhändler, und geht man in die Kneipen, hört man, dass die Geschichte mit der Halde für viele Bottroper eine Schnapsidee ist. Wie soll datt gehen?, heißt es da. Über eine halbe Million Besucher werden jährlich erwartet, 1.500 Parkplätze müssen gebaut werden. Und bis zu zweihundert neue Jobs, vom Liftboy bis zum Hallenmeister, werden die vollen Flure des Arbeitsamtes bestimmt nicht räumen. Aber eine gute Behörde hat selbstverständlich für alles ihre Paragrafen, eine Machbarkeitsstudie für die steuergeplagten Bürger und für die Umwelt einen landschaftspflegerischen Gesamtplan. „Wir sind gerade dabei, alle Anregungen abzuarbeiten“, sagt Frau Kleinheins, die überhaupt nichts gegen grüne Gesinnungen hat, und doch den Umweltschützern erklären muss, warum eine Skihalle auch ökologisch ganz gut in die Gegend passt.

„Wer da runterrutscht, kommt immer wieder“, sagt Monika de Byl von den Grünen. „Aber vor dem Schnee kommt erst die große Blechlawine.“ Frau Kleinheins kennt die Vorwürfe und so wird gerade ernsthaft darüber nachgedacht, wie man breitere Straßen bauen kann und ob man das Dach des schlängelnden Ungeheuers aus Stahl und Beton begrünen sollte, um das Regenwasser in ein gefährdetes Feuchtgebiet am Fuß der Halde abzuleiten. Ob es darüber hinaus Platz und Möglichkeiten zum Mountainbiken, Inline-Skaten oder Klettern gibt. Zum Sturm auf den Gipfel, der einem statt des Matterhorns die Sicht auf Kühltürme beschert, sollen seitlich der Piste Förderbänder gebaut werden, wie man sie zum Kohletransport aus den Schachtanlagen kennt. Ein bisschen Bottrop soll schon bleiben.

Doch vor dem Slalom unter Dach sind noch viele Hindernisse zu umkurven. Da bleibt zu klären, ob die Bergaufsicht die Käufer der Kohlenhalde aus ihrer Verantwortung entlässt, müssen Altlastengutachten angefertigt und Entwässerungskonzepte vorgelegt werden, und wie die drei Ratsmitglieder von der DKP so abstimmen werden, ist auch noch nicht klar. Die Zeit drängt, denn ein paar Kilometer weiter droht Neuss im Rheinland damit, den Bottropern auf einem Müllberg zuvorzukommen. Die meisten Politiker in der Stadt jedenfalls wollen sich nicht quer stellen für eine Abfahrt über dem Abraum und am Ende bei ihren Wählern die Spielverderber sein. Einer von ihnen hielt selbst mit seltsamer Logik nicht hinter dem Berg. Wer in Bottrop Ski fährt, so seine umweltschonende Erleuchtung, braucht erst gar nicht mit dem Auto in die Alpen zu fahren.

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