Spanische Ärzte: Pinochet prozessfähig

Acht spanische Mediziner bescheinigen Chiles Ex-Diktator nach Lektüre der britischen ärztlichen Gutachten absolute Prozessfähigkeit. Spanien, Belgien und die Schweiz fordern neues Gutachten ■ Von Bernd Pickert

Es ist ein vernichtendes Urteil, was die von Spaniens Ermittlungsrichter Baltasar Garzón eingesetzte achtköpfige Medizinerkommission über den britischen Innenminister Jack Straw fällte: Das ärztliche Gutachten über den Gesundheitszustand Augusto Pinochets gebe „keinerlei Argumente oder Hinweise“ darauf, dass sich Pinochets Geisteszustand, sein Koordinierungs- und Verständnisvermögen signifikant verändert hätten. Das Gutachten der britischen Ärzte, auf Grund dessen Innenminister Jack Straw erklärt hatte, er sei „geneigt“, Pinochet freizulassen, sei außerdem mangelhaft.

Es fehle ein psychiatrisches Gutachten. Auch die neurologische Untersuchung zeige keinerlei Schwächen auf, die nicht für Männer in diesem Alter – Pinochet ist 84 – ganz normal seien.

Die acht Mediziner unterschiedlicher Disziplinen waren von Garzón vergangene Woche damit beauftragt worden, das britische Gutachten unter die Lupe zu nehmen. Zuvor hatte der britische High Court angeordnet, das Gutachten jenen Staaten zugänglich zu machen, die eine Auslieferung Pinochets verlangten.

Zweifel daran, ob Straws Schlussfolgerung, Pinochet sei prozessunfähig, korrekt sei, waren Mitte Januar auch vom Chef der britischen Gutachterkommission selbst geäußert worden. „Die Entscheidung über Pinochets Schicksal stand außerhalb unserer Kompetenz und Verantwortung“, sagte Oxford-Professor John Grimley Evans damals. Die Ärzte hätten lediglich die „medizinischen Fakten“ dargelegt – die Entscheidung über ihre Bewertung sei von den Anwälten getroffen worden, die Straw beraten. Die Aussagen der spanischen Mediziner legen den Schluss nahe, dass Straw tatsächlich den Gesundheitszustand Pinochets als Vorwand benutzen wollte, um den Fall möglichst rasch loszuwerden.

Ermittlungsrichter Garzón zieht aus alledem zwei Schlüsse: Erstens müsse dringend ein neues, unabhängiges Gutachten erstellt werden, und zweitens müsse es, wie es auch in der britischen Rechtsprechung durchaus üblich sei, einem Gericht und nicht dem Innenminister vorbehalten bleiben, daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, ob der Angeklagte dem Prozess folgen könne oder nicht.

Entgegen der Auflage des britischen High Court, das Gutachten „absolut vertraulich“ zu behandeln und lediglich den zuständigen Justizbehörden zu übergeben, hatte sich der gesamte Text gleich nach Übergabe in den spanischen Medien gefunden. Das nutzt Garzón in seinem Schreiben an das britische Innenministerium für einige saftige Seitenhiebe gegen das spanische Außenministerium: Statt nämlich das aus Großbritannien eingetroffene Gutachten an die Justiz weiterzuleiten, sei es im Außenministerium geöffnet worden – ergo befinde sich dort die Schwachstelle gegenüber den Medien.

Garzón ist auf das Außenministerium nicht gut zu sprechen, seit Minister Abel Matutes erklärt hat, keinerlei Einwände der spanischen Justiz in Londen mehr geltend machen zu wollen, sollte die britische Regierung zu einer Entscheidung kommen. Im Lichte der neuen Kommentare zum Gutachten, schreibt Garzón weiter, hieße diese Position der spanischen Regierung, eine völlig indiskutable Entscheidung zu akzeptieren.