Weltbürger zu Globalkonsumenten

■ Das Internet ist zum Alltagsmedium der Deutschen geworden. Ein Sieg derE-Commerce-Branche: Einstiges Wissenschaftsnetz ist jetzt ein riesiges Shoppingcenter

Echte Neuheiten erwartet niemand, der heute nach Hannover zur Computermesse fährt. Die Cebit hat ihre Funktion gewandelt. Sie ist zu einer Art Bilanzkonferenz des Internetgeschäfts geworden, das mit seinen Zuwachsraten sämtliche anderen Industriezweige in den Schatten stellt.

Rechtzeitig zur Messeeröffnung hat die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) die neuen Zahlen ihres so genannten „Online-Monitors“ vorgestellt. Über 8.000 Stichproben ergaben, dass heute in Deutschland 15,9 Millionen Personen zu den so genannten Usern des Internets gehören. Sie gehen regelmäßig online, und ihre Zahl hat sich in nur zwölf Monaten verdoppelt. Wenig überraschend, dass Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren mit etwa 60 Prozent an diesem Boom beteiligt sind. „Manche haben so viele Mail-Adressen gespeichert, wie wir früher Telefonnummern hatten“, sagte ein Sprecher der GfK. Und auch zwischen den Geschlechtern läuft nichts mehr ohne das Internet. Die Frauen stellen 39 Prozent der deutschen User.

Damit sei das Internet in Deutschland zum „Alltagsmedium“ geworden, schließt die GfK aus ihrer Untersuchung.

Der Erfolg ist oft vorausgesagt worden. Das hat seinen Preis, wie die Cebit 2000 zeigt. Das Internet wächst über seine technische wie soziale Basis hinaus. Es wird nie wieder das Medium von Technikern, Wissenschaftlern und technikbegeisterten Laien sein. Der Bertelsmann-Konzern kündigt an, noch in diesem Jahr 18 verschieden Internetfirmen an die Börse zu bringen. Ebenfalls rechtzeitig zur Messeeröffnung haben Telekom und Commerzbank ihre gegenseitige Beteiligung an den jeweiligen Internettöchtern bekannt gegeben, die Deutsche Bank und AOL folgen dem Beispiel.

Investitionen dieser Größenordnungen diktieren die Entwicklung. Das Internet wird in einem Maß der Rationalität globaler Märkte angepasst, das sich seine Visionäre weder vorstellen wollten noch konnten. Ihre Idee einer digitalen Weltbürgerschaft wird ersetzt durch kommerzielle Standards, wie sie etwa im Rahmen des „Gobal Business Dialogue on E-Commerce“ (www.gbde.org) ausgearbeitet werden. Das Spitzengremium der Weltwirtschaft stellt in seiner Gründungspräambel kühl fest, „widerstreitende Politiken, Regeln und der Flickenteppich regionaler Verordnungen sind Hindernisse der elektronischen Wirtschaft“. Regierungen haben sich anzupassen. Vielleicht ist das Internet auch ein Instrument der modernen Demokratie, ganz sicher aber und vor allem anderen ist es das wichtigste Produktionsmittel des modernen Kapitalismus.

Nicht nur die schnell zurechtgestrickten Gesetze, die das deutsche Parlament für das Internet erlassen hat, wirken schon jetzt rührend altmodisch. Auch der User, für den sie gelten sollten, ist bereits eine antiquierte Figur. Er saß nächtelang an seinem PC und tüftelte an Konfigurationen für sein Modem und sein Betriebssystem herum, das jeden Augenblick abstürzen konnte. Auf dieser Basis lässt sich keine Industrie aufbauen. Die Sensationen der Cebit 2000 sind nicht der noch schnellere Prozessorchip und schon gar nicht Bill Gates’ „Windows 2000“.

Mit dem Standard-PC, auf dem Windows 98 vorinstalliert ist, scheint die Entwicklung auf dem Massenmarkt einen gewissen Endpunkt erreicht zu haben. Was die Fachwelt heute nach Hannover lockt, sind die Maschinen, die danach kommen. Der PC gibt seine Funktionen nach und nach an spezialisierte Endgeräte ab, die teils ergänzend, teils schon an seiner Stelle eingesetzt werden: an die Handys vor allem, die zu Nachrichtenterminals umgebaut werden. Mindestens der Empfang privater wie kommerzieller Informationen ist nicht mehr an den Computer-Arbeitsplatz gebunden.

Auf den Markt kommt diese nächste Generation der Kommunikationsmaschinen erst nach der Messe. Aber schon dort hört das Internet sichtbar auf, ein Netzwerk neben anderen zu sein. Nur Techniker interessieren sich heute noch für besondere Übertragungsmethoden. Die User, für die heute Milliarden investiert werden, müssen morgen davon nichts mehr wissen. Sie telefonieren, hören Musik, schauen Filme, sie lesen und senden Nachrichten in dem einen, einzigen Netz, das überall ist.

Niklaus Hablützel

Internet Seite 13