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■ Ürdrüs wahre KolumneEcht sozialdemokratischer Gartenzwerg

Aus dem Osten kommt das Licht. Und aus der CDU der Anschlussgebiete die längst überfällige Forderung, den bremischen Kohleone Neumann endlich für Nibelungentreue zum großen Bimbes abzustrafen. Das wäre immerhin auch eine späte Genugtuung für all jene Christdemokraten von der Weser, die der Herr Parlamentarische Staatssekretär a.D. in den letzten zwei Jahrzehnten gedemütigt, vorgeführt und sogar zum Heulen gebracht hat. Eine Mitverantwortung Neumanns für die Vernichtung der Leuna-Akten lässt sich ja nun ohnehin vermuten: War es nicht der Sanitätsgefreite, der schon am Anfang seiner politischen Karriere die Verbrennung von Büchern als Strategie empfahl? Wie aus Neumann ein Neumännchen wird – wir werden es schon in den nächsten Wochen miterleben dürfen ...

Entnervtes Zetern eines recht vierschrötigen Vaters im Spielzeuggeschäft, Abteilung Faschingskostüme: „Wie? Was? Jetzt auf einmal willst du als Teletubby gehen? Schumi war abgemacht, die Ferrarikappe haste ja schon. Und warum auf einmal nicht mehr?“ Der junge Karnevalist aber hält trotzig dagegen: „Schumi sein, das ist mir peinlich!“ Wie schnell Angehörige der jungen Generation doch mein Verständnis finden!

Als derzeitiger Insasse einer nordhessischen Klinik hege ich besondere Neigung zu metaphysischer Wahrnehmung: Am 12. oder 14. Fastentag bleibt sowas kaum aus. Und so reizt mich dann das Angebot des kleinen Esoterikerladens vor Ort außerordentlich, live an einer Offenbarung des Erzengels Michael für die Menschen dieser Zeit teilzunehmen. Der Erzengel aber kam nicht direkt aus dem Himmel, sondern über Erfurt an den Hohen Meißner und so wurde für diesen kleinen Umweg ein Eintrittsgeld von 70 Mark erhoben. Ich habe mir die Offenbarung dann geschenkt und wurde für meine Standhaftigkeit gegenüber solch dreister Geschäftemacherei belohnt durch die erfreuliche Information, dass dem Erzengel während der Offenbarung das Auto geklaut wurde. So schreibt Gott mal wieder auf krummen Zeilen gerade! Richtige Engel haben ja sowieso Flügel und kommen mit Bahn oder Bus oder am besten zu Fuß ...

Das Elend hat viele Gesichter nach der Reform des Gesundheitswesens. Besonderes Mitgefühl dürfte der Bremer Mitbürger Karsten Vilmar verdient haben, der sich als deutscher Medizinmann aus der Verbandskasse bedienen musste, um sich noch Mullbinden und Ohrtropfen für den eigenen Bedarf leisten zu können. The harder they come / the deeper they fall: Warum muss Jimmy Cliff denn immer Recht bekommen?

Wie schön, dass es unter den raffinierten Speckjägern der Politikerzunft auch immer noch so blonde Emils wie den Ex-Senator Bernd Meyer gibt. Wie dieser Original-Gartenzwerg der guten alten Sozialdemokratie seine Pensions-Abzockerei mit dem Hinweis darauf legitimiert, dass „die anderen“ es noch viel schlimmer treiben, das ist in der Tat ein bedeutsamer Beitrag zur allgemeinen Staatsbürgerkunde und geht in Sachen Offenheit sehr viel weiter als alles, was wir in den letzten Tagen und Wochen so an Bekenntnissen gehört haben. Eine ehrliche Haut, die unser Vertrauen in die Allgegenwärtigkeit der menschlichen Niedertracht von Herzen verdient!

Mit drei Plastikbeuteln voller PET-Pfandflaschen drängt sich ein dürres Herrchen vom Typus „Alter Ostpreuße“ im Supermarkt durch die Sperre. „Da habense wohl mit allem Drum und Dran Geburtstag gefeiert ...“ biedere ich mich an, um meine Neugier zu befriedigen. Erfahre dann aber, dass das Pfandgeld für derlei Behältnisse in diesen Tagen von stolzen 70 Pfennigen auf bescheidene drei Groschen herabgesetzt wird: „Die teuren Flaschen, das war immer mein Notgroschen. Und jetzt muss ich alle schnell noch einlösen“. So treibt man wieder mal Schindluder mit einer Generation, die schon mal eine Währungsumstellung erleben musste. Staatsverdrossenheit? Ja bitte!

Meint im schwindenden Restvertrauen auf die Stabilität der pfandpflichtigen Glas-Bierpulle

Ulrich „Schluckauf“ Reineking

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