„Der Bremer Gau wird verdrängt“

■ Rede – Gegenrede: Horst Werner Franke glaubt, dass die Wirtschaftspolitik auf die Zeit nach der Sanierung ausgerichtet ist

Wirtschaftsdebatte: Der Ökonom Rudolf Hickel argumentierte in der taz , die Wirtschaftszahlen für Bremen wiesen den richtigen Weg für die Sanierung des Bundeslandes. Der Grüne Haushaltspolitiker Helmut Zachau widersprach dem: Mit der derzeitigen Wirtschaftspolitik fahre man den Karren vor die Wand. Der ehemalige Bildungssenator Horst-Werner Franke (SPD) sagt: Beide haben recht. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun.

Recht haben sie, beide, Zachau und Hickel, und der kluge Rudolf weiß das auch. Helmut Zachau sagt nur, dass Bremens Sanierungspolitik erfolglos bleibt, und Hickel hält Bremens Wirtschaftspolitik im großen und ganzen für geglückt. Das ist beileibe kein Widerspruch. Eins hat nämlich mit dem anderen nichts zu tun. Zwar möchte die Bremer Politik noch immer glauben machen, sie sei mit der Sanierung des kleinsten Bundeslandes auf dem richtigen Weg und die Wirtschaftspolitik des Senats gehöre dazu, doch Finanzsenator Harmut Perschau (CDU) und Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU) können nicht so töricht sein, an solche Reden selbst zu glauben. Wahrscheinlich ist der Schwindel nötig, weil sonst die Bundesmilliarden nicht hätten in den laufenden Landeshaushalt gekippt werden können. Mit Bremens großen Spaßprojekten wäre keine müde Mark abzuzocken gewesen.

Am Anfang der Sanierung stand im Mai 1992 die lapidare Feststellung Karlsruhes, Bremen könne seine Aufgaben als Bundesland nicht mehr erfüllen und brauche Hilfe. Das Bundesverfassungsgericht nannte auch den einzigen Grund der Bremer Misere: die Schulden. Wer wie Bremen rund ein Viertel seiner Einnahmen für Zinszahlungen ausgeben muss, befindet sich in extremer Haushaltsnotlage und braucht Hilfe. Alle Hilfe sollte begrenzt sein und nur dem einen Ziele dienen, die Zins-Steuer-Quote zu senken. Nach dem Sanierungszeitraum sollte Bremen wieder normales Bundesland sein. Es ist müßig, noch von den seinerzeit verabredeten Sanierungsplänen zu reden. Sie sind längst Makulatur. Niemand redet mehr von der Senkung der Zinslast, die höher ist denn je. Am Beginn des Milliardenzuflusses hatte Bremen 16 Milliarden Schulden, jetzt höchstwahrscheinlich alles in allem noch einmal 10 Milliarden obendrauf. Die extreme Haushaltsnotlage von damals ist während der Sanierung noch extremer geworden. Was Karlsruhe vor Jahren auf Antrag Bremens festgestellt hatte, dass es die ihm aus seiner politischen Autonomie zuwachsenden Aufgaben eigenständig und eigenverantwortlich nicht lösen könne, gilt heute und wird weiter gelten. Dass selbst die klügste Wirtschaftspolitik das Land nicht aus dem Elend führen kann, erklärten die Gutachten für Karlsruhe dem Senat schon vor zehn Jahren. Es hieß da wörtlich, dass der auf Sand baue, der im Falle Bremens von einer Stärkung der Wirtschaftskraft die Sanierung der Finanzen abhängig machen wolle. Wirkliche Hilfe beim gegenwärtigen Finanzausgleich brächte allein Einwohnerwachstum. Darum verkündete der Senat die Zielzahl von 60.000 Einwohnern mehr bis 2007 als wichtigsten Sanierungsbeitrag. Auch davon brauchen wir nicht mehr zu reden. Bremen schmilzt nach wie vor zusammen.

Lassen wir die alten Kamellen, die hier nur unterstreichen, wie richtig Zachau liegt. Seit Jahren kennen alle, die es angeht, diese Wirklichkeit. Man kann sie nur noch auf der Gebetsmühle klappern und staunend fragen, worauf die Reden gründen, die den wachsenden Erfolg der Sanierungspolitik verkünden. Wenn in vier Jahren endgültig die letzte Mark vom Bund nach Bremen geflossen ist, fällt die Finanzierung des laufenden Haushalts samt riesiger Zins-Steuer-Quote allein auf Bremens schwache Schultern. Die künftige Neuregelung des Länderfinanzausgleichs, soviel ist jetzt schon zu erkennen, wird für Bremen den Status quo gewiss nicht bessern. In der Stadt ist das Problem zwar sattsam bekannt, doch redet keiner von der Zeit danach. Es gibt auch keine Arbeitsgruppe des Senats für diesen Katastrophenfall. Der Bremer Gau wird radikal verdrängt. Keine Fraktion wagt hier die offene Debatte im Parlament. Kein Ortsverein der SPD stellt auf dem Parteitag die Frage, wie es weitergehen soll.

Und doch hat der Senat sich längst entschieden. Wie sonst wäre zu erklären, dass er nicht auf Schuldenabbau setzt. Seine hickelgelobte Wirtschaftspolitik zielt auf die Zeit danach. Was immer aus Bremen werden wird, eine gute Wirtschaftsstruktur kann Bremen keiner mehr nehmen. Wozu ist ein schuldenreduziertes Land gut, das in seiner Selbständigkeit nicht leben und nicht sterben kann, weil seine Wirtschaft durchhängt. Lassen wir es also darauf ankommen, spielen wir va banque. Wir nehmen das Sanierungsgeld und stärken unsere Wirtschaft. Das rettet zwar uns nicht vor dem Bankrott als Stadtstaat, doch sichert halbwegs gutes Überleben für die Zeit danach. Die Schulden sind schließlich Landesschulden. Die Stadt Bremen steht nach dem Kladderadatsch so ziemlich ohne Schulden und mit sanierter Wirtschaft ganz gut da. Das sieht auch Rudolf Hickel so, und damit hat er recht.

Horst-Werner Franke, Senator a. D.