Die zwei Seiten des Stereotyps

Von Indien über Tansania nach England: Die Ausstellung „Crown Jewels“ im NGBK zeigt, wie kompliziert es wird, wenn sich persönliche Erfahrungen mit den Diskursen des Postkolonialismus überlagern ■ Von Harald Fricke

Die Puppe hat goldene Ohrringe, ein Batikwickelkleid und schwarze, an der Stirn hochgekämmte Haare. Der Karton, in den sie verpackt wurde, ist mit blutorangeroten Ornamenten verziert. Es nützt trotzdem nichts: India Barbie sieht wie Malibu Beach Barbie, Celebration Cake Barbie oder Millennium Princess Barbie aus. Irgendwie scheinen Kinder überall auf der Welt die gleichen Vorstellungen vom schönen Leben zu haben.

Shaheen Merali gefällt dieses Wunschbild nicht besonders. Deshalb hat er dem Püppchen aus der Spielzeugwerbung das Porträtfoto einer indischen Frau zur Seite gestellt, mit Nasenring und einem Punkt auf der Stirn, der sie als „Unberührbare“ ausweist. Die beiden Images sind in einem Fotoleuchtkasten montiert, der zur Ausstellung „Crown Jewels“ gleich im Eingang der NGBK hängt. Dazu kommen noch fünf weitere Kästen, die Elemente aus der indischen Kultur mit diversen Symbolen kombinieren – von „Fascist Cigarette Cards“ bis zur afrikanischen Phallusfigur aus venezianischem Muranoglas.

Offenbar hat sich die Frage nach regionalen oder gar ethnischen Zuschreibungen verkompliziert. Die Biografie, durch die sich Merali hindurcharbeitet, ist gleich mehrfach gebrochen: Er wurde 1959 in Tansania, einem Migrationsland für Indien, geboren und lebt seit 1979 in England. Von der Diaspora ins britische „Commonwealth“: All diese Wege prallen in seiner Foto-Sandwich-Serie „Channels, Echoes and Empty Chairs“ von 1994 unmittelbar aufeinander. Damit die Inszenierung nicht zum globalen Kaleidoskop abgleitet, braucht Merali allerdings zahllose Kommentare, Erklärungen und Deutungen. So geht die Dringlichkeit der visuellen Darstellung verloren, die Bilder sind eher Illustrationen des Konflikts, den die beigestellten Texte fortschreiben.

Dieses Problem macht fast allen acht KünstlerInnen zu schaffen, die an „Crown Jewels“ beteiligt sind. Immer geht es um persönliche Erfahrungen, die von den Diskursen des Postkolonialismus überlagert sind. Addela Khan wollte mit ihren postkartengroßen Selbstporträts die Rolle der Frau in einer patriarchalisch organisierten Religionsgemeinschaft zeigen und diese Ordnung zugleich ironisch unterlaufen. Am Ende ist eine Fotoserie zum Islam entstanden, bei der sie selbst lauter unterwürfige Positionen einnimmt, die von arabesken Architekturformen aus dem Topkapi-Palast umrahmt werden. In der Fülle an Kontexten verschwindet der feministische Ansatz, dann sehen die Arbeiten nur noch sehr fragil aus. Und schön.

Überzeugend wird der Konflikt erst durch die Entzerrung der Fakten. Da ist etwa die Arbeit von Sunil Gupta, der in „From Here to Eternity“ Fotos aus seinem Alltag als HIV-Infizierter unscheinbare Aufnahmen von Schwulenclubs zur Seite stellt. Die Fotos bleiben unkommentiert, der Betrachter muss selbst nach Anhaltspunkten für die Geschichte hinter den Bildern suchen.

Auch shez 360 möchte mit seinen Werbeplakaten die von ihm anvisierte „Zweischneidigkeit des Stereotyps“ nicht mit pädagogischen Beipackzetteln überbrücken. Auf „Bhangra Muffins“ sieht man einen jungen Mann, der in einen Burger beißt. Einmal trägt er Sportswear und Bandana, das andere Mal Holzfällerlook und Wollmütze. Seine Herkunft ist weder ethnisch noch sozial auszumachen – alles ist irgendwie HipHop.

shez 360 mag diese Gleichförmigkeit „kultureller Gebrauchsartikel“, bei der Unterschiede global eingeebnet werden. Schließlich sind die Zeichen und Labels rein äußerlich. Identitäten kann man damit nicht konstruieren, eher schon Zugehörigkeiten. Offenbar sieht sich der in London lebende shez 360 als Teil der Popkultur. Und die ist gerade durch Bands wie Asian Dub Foundation schwer Indien-fixiert.

Bis 12. 3., tgl. 12 bis 18.30 Uhr, NGBK, Oranienstraße 25.