„So nah hatte man den Krieg nie gesehen“

■ Horst Faas war Fotograf in Vietnam. Für das Bild, das den größten Einfluss auf die amerikanische Öffentlichkeit hatte, erhielt er 1965 den Pulitzerpreis. Heute stellt „Requiem“, ein internationales Ausstellungsprojekt, die Macht der Bilder aus Indochina neu zur Diskussion

Mit Aufnahmen von fliehenden Kindern und verwundeten Soldaten entfachten sie die weltweite Diskussion über den Krieg in Indochina. 135 Fotografen ließen dort ihr Leben. Tim Page und Horst Faas überlebten, schwer verletzt. Dreißig Jahre später zeigen sie mit ihrem „Requiem“-Projekt mehr als 200 Bilder derer, die den Krieg beiderseits der Front nicht überlebten – um ihnen damit ein Denkmal zu setzen, aber auch, um die Macht der in Vietnam entstandenen Fotos erneut zur Diskussion zu stellen.

Die Ausstellung war bislang in London, Tokio, Washington und New York zu sehen und ist in den USA bis ins kommende Jahr ausgebucht. Eine zweite Ausfertigung ist noch bis zum 12. März unter dem Titel „Ein ferner Krieg“ im NRW-Forum Kultur und Wirtschaft in Düsseldorf zu sehen. Danach geht sie nach Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt.

Horst Faas, geboren 1933 in Berlin, kam nach seiner Ausbildung bei der Agentur Keystone 1956 zu Associated Press in Bonn. Von 1962 bis 1973 war er Cheffotograf für AP in Vietnam und arbeitet heute als Foto-Chefredakteur für Europa, Afrika und Asien in London.

taz: Welches Ihrer Bilder fasst für Sie den Vietnamkrieg am besten zusammen?

Horst Faas: Hab’ ich mir noch nie so überlegt. Ich hab’ da so lange gearbeitet und so viele Bilder gemacht. 1965 bekam ich den Pulitzerpreis für eines meiner Bilder. Der wurde damals für das Bild verliehen, das den größten Einfluss auf die amerikanische Öffentlichkeit hatte. Die war an Bilder, wie wir sie machten, nicht gewöhnt, so nah hatte man den Krieg noch nie gesehen.

War Ihnen das bewusst: dass sie neu sind, eine solche Wirkung haben werden?

Sagen wir mal so: Bei einem der gefährlichsten Kämpfe überhaupt haben die Amerikaner ihre eigenen Truppen bombardiert, und es gab über 200 Tote, weil sie einen Fehler gemacht haben. Der Vietcong war unter der Erde, und die Hubschrauber waren über der Erde. Und das soll so ein Bild ausdrücken, da muss man die Gefahr spüren. Man nimmt etwas vom Ort des Geschehens weg und trägt es um die Welt. Dann muss es natürlich auch den Eindruck erwecken: So war’s.

Können diese Bilder überhaupt wiedergeben, was passiert?

Bei einer Nachrichtenagentur muss man sehr genau sagen, wer, was, wann und wo auf dem Bild gezeigt wird. Wir sagen aber nicht: Da ist Spannung im Gesicht. Was weiß ich, ob dieses Gesicht Spannung ausdrückt? Ich sehe nur, dass da einer ein Telefon hält. Wir interpretieren nichts rein in die Bilder. Die müssen selbst aussagen. Dieses Bild hier ist zum Beispiel völlig missinterpretiert worden. Da wurde aus einem toten Vietcong ein lebender gemacht und gesagt, er wird zu Tode geschleift. Seit Jahrzehnten geistert dieses Bild nun mit dieser falschen Unterschrift herum. Wahr ist: An dem Tag sind zweihundert vietnamesische Soldaten im Umkreis eines amerikanischen Lagers, das sie angriffen, gestorben. Die lagen da den ganzen Tag, und wegen der Minen und Granaten konnte man nicht Hand anlegen. Deshalb wurden sie schließlich mit Seilen rausgeholt und in ein Massengrab geschleppt.

Manche Soldaten gingen in den Krieg, um Vietnam die Freiheit zu bringen – gab es so etwas nicht auch bei den Berichterstattern?

Wissen Sie, ich habe immer versucht, mich von meiner Arbeit zu distanzieren. Und wenn ich nach Hause gekommen bin, habe ich andere Sachen gemacht. Ich glaube, das ist sehr wichtig. Wir sind ja nicht gekommen, um im Krieg zu kämpfen. Wir sind nur gekommen, um über den Krieg zu berichten. Ich habe Kunst gesammelt, ein schönes Haus gehabt und dort ganz gut gelebt. Ich bin auch in ganz Asien herumgereist, habe andere Stories gemacht und mich selbst nie als Kriegsfotograf bezeichnet, sondern als Journalist, als Fotograf.

War das damals schon eine bewusste Abwehrreaktion?

Man muss sich distanzieren, und wenn man das nicht schafft, soll man besser damit aufhören. Den Leuten, die mit Drogen anfingen, habe ich immer geraten: Haut ab, ihr seid eure schlimmsten Gegner!

Wie reagierten die Besucher in den USA auf die Ausstellung?

Wir hatten unglaublich viele Besucher in den amerikanischen Ausstellungen, fast immer drei-, viermal so viel wie normal in die Ausstellung kamen. Veteranen und Soldatengruppen waren dabei und viele Schulklassen. Es ist erstaunlich, wie viele jüngere Leute in den USA sich immer noch intensiv mit dem Vietnamproblem beschäftigen. Und wir haben viele Kommentare und Zuschriften von Leuten bekommen, die dankbar sind, dass wir das von anderer Warte aus zeigen, sowohl die kommunistische Seite als auch unsere Seite. Ich habe mich eigentlich erst entschlossen, mit dem Projekt anzufangen, als sicher war, dass wir Bilder von der anderen Seite bekommen. Mir lag viel daran, die Fotografen der kommunistischen Seite und unsere Fotografen im Tode zusammenzubringen.

Sie sagten: Wenn man sich nicht distanzieren kann, soll man nicht dorthin gehen. Aber diese Erfahrung beschäftigt Sie doch weiter.

Weil ich glaube, dass diese Periode der Fotografie mein Leben geprägt hat, denn immerhin: Man ist selten so lange an einer Story dran wie an dieser. Journalistisch sind diese Bilder bedeutend für mich, weil sie den modernen Fotojournalismus mitgeprägt haben. Es ist eines der wenigen Ereignisse, das direkt und verhältnismäßig unzensiert fotografiert werden konnte. Es war der letzte Krieg, bei dem die Fotografen so lange da blieben wie die Soldaten – wenn nicht länger. Vieles ist einmalig, und deshalb ist es für den Fotojournalismus ein einmaliges Kapitel. Das sehe ich vor allem darin, dass junge Kollegen heute noch versuchen, Fotos zu machen wie zum Beispiel Kyoichi Sawada. Wenn man Straßenkämpfe in Tschetschenien fotografiert, dann will man, dass die so aussehen wie dies hier.

Vietnam war also stilbildend für Kriegsfotografie?

Für diese direkte Fotografie, nicht nur im Krieg. Ich glaube, dass wir auch Hungersnöte und Ähnliches heute so fotografieren.

Aber damals war ja auch der Krieg direkt. Beim Bombardement von Jugoslawien stand kein Soldat dort auf der Straße. Wird man dem gerecht, wenn man das nachahmt, was Sie vor dreißig Jahren gemacht haben?

Ein faktisches Beispiel: Der junge Fotograf, den AP in Belgrad hat und der das Bombardement fotografierte, der hat all die Bilder angebracht, die die Nato sehr geärgert haben. Der ist herumgefahren genau wie wir damals und hat versucht, durch die Zensur und gegen die Anordnung seiner Regierung die Dinger per Internet an uns zu schicken. AP war natürlich sehr froh und dankbar, dass da einer versucht, uns den Krieg von einer anderen Seite zu schildern. Aber das war zugleich eine große Gefahr. Nicht nur, dass er sich dem Bombardement ausgesetzt hat, sondern er hat auch mit seiner eigenen Regierung ein risikoreiches Spiel getrieben.

Damals war die Fotografie in ihrer Direktheit das einzige Medium.

Der Text war damals auch sehr wichtig. Ich weiß nicht, wie viele Pulitzerpreise aus Vietnam gekommen sind. Aber das Fernsehen fing erst an und war durch das Gewicht der Geräte in der Berichterstattung sehr eingeschränkt. Die konnten nicht durch tiefen Schlamm laufen. Das Fernsehen hatte nicht die direkten Auswirkungen wie ein Foto.

Gilt das immer noch?

Auch heute noch, ja. Mehr denn je, glaube ich. Heute sind wir so mit Fernsehen überflutet, dass, wenn man ein Bild hat, das man sich in Ruhe anschauen kann, und wenn das groß und gut gedruckt ist, dass man sich dorthin flüchtet.Interview: Thomas Machoczek