Warum ausgerechnet die Belgier?

Das kleine EU-Land ist froh, dass endlich mal ein anderer, also die Österreicher, die Rolle des europäischen Paria spielen muss

Wenn heute Brüssels Jahr als europäische Kulturstadt feierlich eröffnet wird, ist der österreichische Botschafter nicht dabei. Die Veranstalter haben ihn gebeten, von seiner Einladung keinen Gebrauch zu machen. Sein Hinweis, dass es sich um ein mit EU-Mitteln, also auch mit österreichischem Geld, finanziertes Ereignis handle, blieben ungehört.

Auf die Retourkutsche darf man schon gespannt sein. Bei der letzten Brüskierung erfolgte sie prompt. Nachdem der belgische Außenminister Louis Michel seine Landsleute aufgefordert hatte, ihre Skiferien nicht mehr in Österreich zu verbringen, legte die der FPÖ angehörende Tourismus-Staatssekretärin Mares Rossmann den Österreichern nahe, keine belgische Schokolade mehr zu essen.

Im nächsten Akt konnte man die belgische Arbeitsministerin Laurette Onkelinx dabei beobachten, wie sie auf einer Konferenz mit ihren Kolleginnen aus Frankreich und Italien belgische Schokolade herumreichte – als „ein Symbol der Demokratie“.

Die zierliche belgische Ministerin, die mit großen Pralinéeschachteln und glühendem Blick während einer österreichischen Rede den Saal verlässt – solche Bilder erzählen, warum gerade Belgien an vorderster Front gegen die Haiderisierung zu Felde zieht.

Die Kampagne speist sich aus mehreren Quellen. Unter anderem ist sie eine einmalige Chance für das „neue Belgien“ mit neuer, unbelasteter Regierungskoalition vor der Welt als Vorkämpfer einer gerechten Sache aufzutreten. Endlich sind andere Europäer mal die Schmuddelkinder. Nicht zufällig wurde die große Anti-Haider-Demonstration in Brüssel am vergangenen Sonntag in den Medien mit dem „Weißen Marsch“ verglichen. 1996 waren bei der größten Demonstration in der Geschichte des Landes hunderttausende Belgier auf die Straße gegangen, um gegen den Filz von Bürokratie und Verbrechen zu protestieren.

Die zweite Quelle der Proteste ist die Angst vor den Haider-Fans im eigenen Land. Bislang hat der „cordon sanitaire“ gehalten, die eiserne Regel, dass mit dem faschistischen Vlaams Blok nicht paktiert wird. Aber bei den Kommunalwahlen im Oktober werden dem Block Chancen ausgerechnet, in einigen flämischen Gemeinden über 30 Prozent zu kommen.

Der Anti-Haider-Kampfgeist beschränkt sich fast ausschließlich auf den frankophonen Teil der Gesellschaft. Flamen lassen sich bei den Kundgebungen und Diskussionsveranstaltungen kaum blicken.

Das könnte den Riss im Land noch vertiefen. „Cordon sanitaire“ – dass dieses viel gebrauchte politische Schlagwort keine flämische Übersetzung kennt, ist bezeichnend in einem Land, wo Sprache und Politik so eng verwoben sind. Am achten Oktober wird man in Belgien nicht mehr fragen: „Wie hältst du's mit der FPÖ?“ Sondern: „Wie hältst du's mit dem Vlaams Blok“. Und dann müssen womöglich Belgier gegen Belgier zum Boykott aufrufen.

Daniela Weingärtner, Brüssel