Vorwärts, Grüne! Wir rudern zurück!

■ Drei Tage vor der Kieler Wahl sind die Grünen auf Schlingerkurs. Widerstand gegen den Atomkurs der Regierung und die parteiinterne Trennung von Amt und Mandat wächst. Der Parteitag im März ist gefährdet

Berlin (taz) – Die Halle ist schon gemietet, die Einladungen verschickt, da überlegen die Grünen, ihren nächsten Parteitag ausfallen zu lassen. Der Landesvorsitzende der Grünen in NRW, Reiner Priggen, plädierte gestern dafür, auf die Mitte März in Karlsruhe geplante Veranstaltung zu verzichten. „Die Debatte geht über Nordrhein-Westfalen hinaus“, erklärte Bundesvorstandssprecherin Antje Radcke in Berlin, „das kommt aus sehr vielen verschiedenen Landesverbänden.“

Drei Tage vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein bezeugen die Grünen damit den eigenen Zweifel am Erfolg ihrer Regierungsarbeit im Bund. Entsprechend verärgert zeigte sich Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer. „Ich halte die ganze Diskussion für nicht besonders nützlich und erquicklich“, sagte er der taz.

Der Parteitag war innerparteilich als Reformsignal konzipiert worden und sollte nach außen durch die Verabschiedung des Atomausstiegs Eindruck machen. Inzwischen sind die beiden Renommierprojekte von Karlsruhe in Gefahr: Die Reform der Parteistrukturen stößt auf zunehmenden Widerstand in den Gliederungen, und der Atomausstieg lässt auf sich warten.

Priggen sagte am Donnerstag, vor dem Parteitag sei offenbar nicht mit einem Ergebnis der Verhandlungen zwischen Bundesregierung und Stromwirtschaft zu rechnen. Zudem sei fraglich, ob es beim Parteitag die notwendige Mehrheit für eine Strukturreform in der Partei geben werde. Daher sprächen „vernünftige Gründe“ dafür, den Parteitag ausfallen zu lassen und stattdessen auf dem ohnehin für Ende Mai angesetzten weiteren Bundesparteitag über den Atomausstieg zu beraten. Über den Vorschlag wird am Montag der Parteirat der Grünen in Berlin beraten. Die Entscheidung liegt formell beim Bundesvorstand, der sich anschließend trifft. Radcke sagte, sie sehe „noch nicht alle Felle weggeschwommen“. Bütikofer, der wie Radcke dem Vorstand angehört, kündigte an, das Gremium werde sich noch vor dem Parteirat auf eine gemeinsame Linie verständigen. „Die Wünsche für eine Verschiebung sind sicher gut überlegt“, sagte der Bundesgeschäftsführer, „aber ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass der Bundesvorstand sich dem anschließt.“

In der grünen Parteizentrale werden nicht zuletzt Kostengründe wie die Hallenmiete als Argument gegen eine Verschiebung genannt. Offizielle Zahlen für eine kurzfristige Stornierung sind nicht bekannt, die Ausgaben dürften aber bei mehreren zehntausend Mark liegen.

Radcke verteidigte die eigene Partei gegen den Vorwurf, in den Energiekonsensgesprächen bisher zu nachgiebig aufgetreten zu sein. „Ich würde das nicht so sehen, dass wir Herrn Schröder an der langen Leine laufen lassen“, sagte sie. Auch Schröder habe „klar bewiesen“, dass er den Atomausstieg zur Not auch im Dissens durchsetzen werde. Sie halte es durchaus für möglich, bis zum Parteitag zumindest ein „Zwischenergebnis“ zu erzielen. Unterstützung erhielt Radcke darin von Bundesumweltminister Jürgen Trittin. An diesem Freitag werde es eine neue Gesprächsrunde der Staatssekretäre mit der Industrie geben, sagte Trittin. Eine Verschiebung des Parteitags sei darum zum jetzigen Zeitpunkt „unseriös“.Patrik Schwarz

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