Bremens Sanierungsprogramm war ein Fehlschlag vom ersten Jahr an

Bremens Wirtschaftswachstum war auch 1999 unter Bundes-Niveau:
In der taz-Debatte über Bremens Sanierungs-Strategie nimmt der Wirtschafts-Experte der Arbeiterkammer, Hans-Jürgen Kroeger, den alternativen Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel auseinander

In fast gleichlautenden Erklärungen betonen der Wirtschaftssenator und der Alternativprofessor Rudolf Hickel, dass der Sanierungskurs der Bremer Staatsfinanzen durch das unterdurchschnittliche Wachstum 1999 nicht in Frage gestellt ist. Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. Denn vor wenigen Monaten kritisierte Hickel noch, dass ,das Investitionssonderprogramm (ISP) wenig auf Zukunftsfähigkeit setzt.“ Jetzt lobt er das ISP, das den ,zukunftsorientierten Strukturwandel“ eingeleitet hat, den es ,zu pointieren“ gilt. Selbst wenn es mit der Wirtschaft bergab geht, Arbeitsplätze abgebaut werden und sich Einwohnerzahlen verringern, die Stimmung jedenfalls will man sich auch durch solche Fakten nicht vermiesen lassen. Schließlich hat die SPD bereits am Beginn der Sanierung verkündet, ,daß die Hälfte der Wirtschaftspolitik Psychologie ist und eine Aufbruchstimmung da sein muss“.

Was einmal die Ziele des Sanierungs-Programms waren

Da der Bremer Senat vor fünf Jahren in seinem Sanierungsprogramm die Kriterien für eine erfolgreiche Sanierungspolitik festgelegt hat, kann leicht überprüft werden, ob es einen Etappensieg für die Zeit von 1995 bis 1999 gegeben hat oder nicht. Nur wenn Bremen ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum erreicht, zusätzlich Arbeitsplätze schafft und die Wohnbevölkerung erheblich zunimmt, kann nach Meinung des Senats eine dauerhafte Konsolidierung der Bremer Haushalte erreicht werden. Jeder zusätzlichen Arbeitsplatz soll nach Modellberechnungen des Finanzsenators etwa 1.000 DM und jeder zusätliche Einwohner 5.800 DM jährlich in die bremische Haushaltskasse bringen.

Bei der Kennzahl überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum ist einziges Erfolgskriterium die Wachstumsdifferenz der Wirtschaftsentwicklung zwischen Bremen und dem Bund. Erfolge werden als positive, Misserfolge als negative Abweichung vom Bundesdurchschnitt definiert.

Nur 1997 und 1998 weist Bremen eine positive Wachstumsdifferenz von 0,6 und 0,4 Prozent-Punkten aus, 1995, 1996 und 1999 vergrößerte sich der Abstand zum Bund wieder um 1,5, - 1,1 und 0,9 Prozentpunkte. Über den fünfjährigen Sanierungszeitraum 1995 bis 1999 hinweg lag das Bremer Wirtschaftswachstum mit jahresdurchschnittlich 1,2 Prozent um 0,5 Prozent-Punkte unter dem Bundesdurchschnitt von 1,7 Prozent.

Bremens Sanierungspolitik - bringt neue Arbeitsplätze?

Zwischen Wirtschaftswachstum, Produktivitäts- und Beschäftigungsentwicklung, der zweiten Sanierung-Kennzahl, gibt es einen Zusammenhang. Erst wenn die Wachstumsrate höher ist als die beschäftigungsmindernde Produktivitätssteigerung werden zusätzlich Arbeitsplätze geschaffen. Weil das seit Beginn der rot-grünen Sanierungskoalition im Jahre 1995 niemals der Fall war, gab es in Bremen auch keine Beschäftigungszunahme. Selbst bei einem überdurchschnittlichen Wachstum 1997 und 1998 verzeichnete Bremen sinkende Beschäftigtenzahlen. Konkret: Das 3,2-prozentige Wachstum im Jahre 1998 (1997: 2,9 Prozent) wurde noch durch die Zunahme der arbeitsplatzvernichtenden Produktiviätssteigerung von 3,9 Prozent (1997: 3,2 Prozent) übertroffen und führte zu einem Beschäftigungsabbau von 0,7 Prozent (1997: 0,2 Prozent).

Zu Beginn der Sanierungskoalition 1995 hatte der damalige Finanzsenator Nölle 60.000 zusätzliche Arbeitsplätze versprochen. Bis 1998 trat aber genau das Gegenteil ein: 13.170 Arbeitsplätze wurden vernichtet. Die Zahl der Erwerbstätigen in Bremen erreichte 1998 mit 343.017 den niedrigsten Stand seit 28 Jahren. Just auf diesem Tiefpunkt angelangt, verkündete der Finanzsenator Ende 1998, bis zum Jahre 2008 durch das ISP 35.000 zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Wenige Wochen später hatte der damalige Bremer Wirtschaftssenator Uwe Beckmeyer das Ergebnis noch einmal ,nachgerechnet“: Bis zu 50.000 Arbeitsplätze sollten in den kommenden Jahren in Bremen neu entstehen. ,Der Start ist in dieser Legislaturperiode gelegt“, verkündete er stolz Anfang 1999 in der Bremer Bürgerschaft. Ganz offen- sichtlich eine der weiteren unzähligen Fehlprognosen, denn 1999 setzte sich der Abkopplungsprozess vom Bundestrend unvermindert fort: Die Zahl der Erwerbstätigen schrumpfte um 0,9 Prozent.

1995 ging der Senat noch von einem Einwohnerzuwachs in Höhe von 50.000 aus. Bremen braucht diesen Zuwachs, weil er sowohl zu zusätzlichen Steuereinnahmen als auch zu höheren Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich führt. Aber die Abwanderung konnte nicht gestoppt werden. Von 1995 bis 1999 schrumpfte die Bevölkerung um 2,0 Prozent (um genau 13.918 Einwohner). Statt diese bedrohliche Entwicklung als Warnsignal zu nehmen, die bisherige verfehlte Politik zu überdenken, erklärte der Finanzsenator gegenüber der Presse: ,Die Zahlen untermauern eindeutig die Notwendigkeit unseres Kurses.“

Die erste Etappe der Sanierungspolitik ist gescheitert

Für die erste Etappe der Haushaltssanierung muß festgestellt werden, dass es entgegen allen Versprechungen, Prognosen und bester Stimmung nicht gelungen ist, sich positiv vom Bundestrend abzukoppeln. Im Gegenteil: Alle drei zentralen Sanierungskennzahlen sind eindeutig nicht erreicht worden. Bremen steht inzwischen trotz Sanierung schlechter da als zuvor.

Da diese Fakten nicht widerlegt werden können, versucht Hickel den Strukturwandel als Vorwand zu nehmen, um nicht vom Scheitern des Sanierungsprogramms sprechen zu müssen. Er behauptet - ohne Zahlen zu nennen -, dass 1999 ,der Rückgang der Exporte in Deutschland ... bei den gegenüber dem Bund überproportional vertretenen exportorientierten Unternehmen Bremens zu Einbußen geführt hat.“ Statt der vermeintlichen Rückgänge verzeichnete die Statistik aber bundesweit einen Exportzuwachs von 3,8 Prozent (Gründe: sich bessernde Konjunktur in Europa und Asien, weiterhin hohe Nachfrage aus den USA und Abwertung des Euro gegenüber der Exportwährung US-Dollar um 12,9 Prozent). Die besonders exportabhängige Bremer Industrie (Exportquote 1999 von 49,4 Prozent) hat von dieser positiven Entwicklung profitiert und konnte ihren Auslandsumsatz um 4,2 Prozent steigern (1998: 4,0 Prozent). In dem besonders exportabhängigen Investitionsgüterbereich ist der Auslandsumsatz 1999 mit 9,4 Prozent (1998: 4,5 Prozent) sogar noch stärker gestiegen.

Ohne den Exportboom wäre der Misserfolg des Sanierungsprogramms noch deutlicher

Wenn das aber so ist, dann verkehrt sich das Argument von Hickel ins Gegenteil: Ohne diesen Umsatzzuwachs wäre der Mißerfolg des Sanierungsprogramms 1999 noch deutlicher als ohnehin schon ausgefallen.

Strukturwandel?

Den Sanierungserfolg will Hickel 1999 nicht am Wirtschaftswachstum, sondern am Strukturwandel messen. Eine schlitzohrige Argumentation, die sich bei näherem Hinsehen als Eigentor herausstellt. Denn mit dem ISP sollen Strukturwandel und Wirtschaftswachstum ja gerade beschleunigt werden, damit positive Wachstumsdifferenzen entstehen können. Der Strukturwandel ist also in der Wachstumsrate enthalten. Hickel führt als Beweis für den Strukturwandel einen ,sich langsam vollziehenden Bedeutungsgewinn im produktionsorientierten Dienstleistungsgewerbe“ an, der sich aber erst in der fernen Zukunft im Wachstum niederschlagen wird.

Es muss ein seltsamer ,Bedeutungsgewinn“ sein, der sich nicht in der Wirtschaft bemerkbar macht. Wahrscheinlich wird er sich auch zukünftig versteckt halten, denn die Wortschöpfung Hickels findet man weder im Duden noch im Lexikon der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Vielleicht sollte der ,Bedeutungsgewinn“ auch nur die optimistische Grundstimmung verstärken. Das lässt sich ja mit diesem Begriff gut machen, ist er doch nach allen Seiten interpretierbar und vor allem nicht widerlegbar weil man ihn durch keine Kennzahl messen kann.

Sicherlich, und darin ist Hickel zuzustimmen, hat das ISP Projekte, die unterstützenswert sind, und den Strukturwandel befördern. Aber, und das sagt Hickel nicht, enthält es zum Beispiel auch Großprojekte wie Space- und Ocean-Park, deren Nutzen höchst zweifelhaft ist und deren Folgekosten noch die nachfolgende Generation bezahlen muß. Wenn wie der Landesrechnungshof fordert - vor jeder Investitionsentscheidung zur Stärkung der Wirtschaftskraft eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung die Vorteilhaftigkeit der geplanten Maßnahmen belegen müsste, könnten solche Projekte nicht mehr durchgeführt werden. Die dadurch freigesetzten Mittel wären für sinnvolle Investitionen zur weiteren Stärkung des Dienstleistungssektors zu verwenden.

Noch ist es für Kurskorrekturen nicht zu spät.

Es geht also nicht darum, das ISP ,zu pointieren“, sondern schon Schwerpunktverschiebungen und spürbare Korrekturen vorzunehmen. Noch ist es für Kurskorrekturen nicht zu spät. Finanzmasse hierfür ist noch vorhanden, sind doch bis 1999 erst ein Drittel des ISP-Volumens von mehr als 4 Milliarden DM ausgegeben worden. Haushaltssanierung bedeutet für den Senat aber auch, Kürzungen in den Bereichen Bildung und Erziehung, Wissenschaft, Kultur, Arbeit und Soziales. Diese Kürzungen sind ganz oder teilweise zurückzunehmen, weil auch sie über die Zukunft Bremens mitentscheiden, auch wenn ihr unmittelbarer wirtschaftlicher Effekte durch keine Kennzahl in Geld gemessen werden kann.