The Rebell's sexy Fake

■ Mehr als 20 Jahre nach seinem Tod wurde Elvis in der Stadthalle in der einzig wahren Form verabreicht: Als Leinwandereignis mit Originalband

Es hört sich ja eigentlich an wie ein mehr oder weniger guter Witz: Im Jahr 2000 findet ein Elvis-Konzert statt, auf der Bühne seine echte Band, entsprechend gealtert, während er selbst, der King des Rock'n'Roll, über allem steht, als hätten ihm weder die Zeit noch sein eigenes Ableben etwas anhaben können. Es war aber kein Witz, zumindest hat fast niemand so verstanden, was da in der Stadthalle passierte.

Ein vorwiegend hochsemestriges Publikum ergötzte sich an dem Elvis, der zwar noch nicht aus dem Leim gegangen, aber schon längst von seinem jugendlichen Überschwang geläutert war, der ihn aus einer Laune der Verhältnisse heraus zum Rebellen gemacht hatte.

Elvis in Las Vegas, mit lächerlichen bonbonfarbenen Anzügen entstellt. Der Elvis, der für manche bereits seit seinem Engagement bei der US-Army erledigt war. Es stellte sich dann auch weniger als Witz, denn vielmehr als die einzig wahre Verabreichungsform einer solchen Show heraus. Elvis Presley – larger than life! Der Rest seiner Band demutsvoll auf Ameisengröße geschrumpft zu seinen Füßen, nur zu Bedeutung gelangt durch den Abglanz von ihro Rock'n'Roll-Heiligkeit König Presley.

Nebenbei bemerkt war dann auch zu beobachten, wie mit dieser Show zum ersten Mal auf der Bühne ein Verfahren vorgeführt wurde, welches für Schallplatten auch im Zusammenhang mit Elvis Presley schon mehrfach benutzt wurde. Unter Verwendung der echten Stimme werden die Instrumental-Spuren neu eingespielt, weshalb es dann auch zu biologisch eigentlich unmöglichen Duetten kommen kann, und was vor allem die Verwertbarkeit toter KünstlerInnen theoretisch ins Unendliche perpetuiert. Dass das nun auch auf der Bühne funktioniert, eröffnet erschreckende Perspektiven wie Konzerte mit den Original-Beatles, Jimi Hendrix, eine veritable Led Zeppelin-Reunion und vielleicht auch noch die Wiederauferste-hung Kurt Cobains, was doch, bitteschön, irgendwer unter allen Umständen verhüten möge.

Inwiefern der Erfolg diesem Verfahren Recht gibt, ist nach der Kostprobe in der Stadthalle schwer abzuschätzen. Zwar war bei 'Suspicious Minds' kaum noch jemand auf dem Sitz zu halten, zwar war gar ein Fan eigens mit seiner Gitarre angereist, zwar hatte auch die Elvis Presley-Gesellschaft e.V. ihren Segen gegeben und war mit einem Devotionalienstand vertreten, zwar rechtfertigte vor allem der längst Verblichene bei aller Süßlichkeit, aller Reduzierung des Repertoires auf Standards und Schnulzen immer noch seinen Ikonen-Status und wirkte trotz aller konsequent vollzogenen Anbiederung an Gott, Mutter und Vaterland noch immer ziemlich sexy. Der Charakter der Künstlichkeit, ja sogar des Fakes war aber kaum zu übersehen.

Die kreischenden Teenager gab es eben nur auf Video, das Schmatzen, als Presley sich von seinen Fans herzen ließ, kam nunmal aus der Konserve. Aber auch das passt wiederum sehr gut zumindest zum Las Vegas-Elvis, der bei aller Ekstase, die er da immer noch auszulösen imstande war, schon längst zur verdünnten Reproduktion seiner selbst verdammt oder verkommen war. Sei es, dass er es nicht hatte verhindern können, sei es, dass er womöglich gar nicht gewollt hat; war er doch sowieso nie das, was andere – und vielleicht auch er selbst – in ihm gesehen haben, nämlich ein richtiger Rebell. Elvis hatte das Gebäude lange vor seinem Ableben verlassen.

Was blieb und immer noch bleibt, ist ein Schatten seiner selbst. Immerhin allerdings einer, der nach wie vor Gänsehaut machen kann, wenn sich die Augenbrauen schmachtvoll in der Mitten hochkruseln und die Oberlippe sich nach rechts oben verzieht.

Andreas Schnell