Der einzig wahre Motherfucker

Der eine herrscht, der andere tötet, in Stalingrad oder auf dem gekachelten Küchenfußboden: Das Haus am Waldsee zeigt „Dein Wille geschehe“ – eine Ausstellung mit Vaterbildern in der Kunst von heute ■ Von Harald Fricke

Der eine herrscht, der andere tötet. Der eine tyrannisiert, der andere schlägt die Mutter, die Tochter, den Sohn und dann gleich das ganze Haus kaputt. Oder er zieht in den Krieg, haut anderer Männer Mütter, Frauen, Töchter, Söhne oder Häuser zu Klump. Und kommt nicht wieder, aus Stalingrad oder von der Westfront. So sind Väter: Irgendein Täter findet sich immer unter ihnen. Jedenfalls ist der Wille des Vaters, ob ausgesprochen oder nicht, eine ununterbrochene Katastrophe, die nun dazu geführt hat, dass im Haus am Waldsee 20 KünstlerInnen zeigen, was sich an Bildern alles aufgestaut hat im privaten wie im kollektiven Gedächtnis. Mag der Katalog auch im Vorwort spekulieren, dass Vaterschaft vor allem „Unsicherheit“ sei, eine Leerstelle womöglich, die erst in der Vorstellung mit Bedeutung aufgeladen werde – die ausgewählte Kunst kennt trotzdem kein Erbarmen. Hier ist alles Zucht, Ordnung und Gewalt, im besten Fall Wut, Ironie oder Trauerarbeit.

Das Arsenal der Monster reicht von Hitlers willigem Helfer in Elisabeth Hautmanns „Ahnengalerie“ über die Abwesenheit des Vaters nach dem Krieg bei Gerhard Richter bis zur Befreiungsfantasie der Finnin Ulla Jokisalo, die ihren Erzeuger auf Fotos symbolisch mit der Schere kastriert. In Russland sorgt man sich derweil um die Revolutionsväter Lenin und Stalin, die bei Leonards Laganovskis durch die Erinnerung an seine sozialistische Kindheit spuken. Für Christiane Möbus ist der Vater der Inbegriff politischer Repräsentation, also stickt sie ihm Perlen ans Revers, damit die Macht ein bisschen gebrochen wird. Für Cordula Güdemann ist er ein kopfloser „Friedensengel“ in Tarnuniform, der Konflikte mit der Waffe löst. Und für Maria Anna Dewes ist die alltägliche Gewalt im Fernsehen überhaupt männlich, wogegen auch Frauen sich nur zur Wehr setzen können, indem sie zur Waffe greifen. Dann bleibt vom Teufelskreis ein „Waffentisch“ mit abgeformten Armen, Gewehren und Pistolen aus Gips übrig, die ins Leere zielen.

Imagination ist alles: Offenbar sind in der Kunst Väter immer die anderen. Sie arbeiten nicht, zumindest im Konzept der eingeladenen KünstlerInnen, sondern produzieren bloß Leid. Oder leiden selbst, wie bei Via Lewandowsky, bei dem sich Väter im Gasherd oder im Kühlschrank auf bizarre Weise umbringen. Zumindest schafft Lewandowskys Todesspiel nach Motiven aus der B. Z. eine etwas weniger ernste, fast absurde Situation in der sonst eher bedrohlichen Ausstellung. Außerdem passen seine Suizidmaschinen gut zum kleinteilig gekachelten Fußboden. Von Georg Herold gibt es ein Gemälde mit Kaviar, Silikonspritzern und der Erkenntnis, dass der einzig wahre „Motherfucker“ der Vater ist, wenn man nur den Worten glaubt. Thomas Schüttes fotografierte Knetgesichter sind dagegen vor allem austauschbar: In anderem Zusammenhang wurden sie als Theatrum Mundi gezeigt, hier besetzen sie als „Alte Freunde“ die Rolle des Vaters.

Die angenehmste Einstellung zum Thema hat jedoch Albert Oehlen. Sein Porträt mit der Aufschrift „Der Mann, der mir das Zeichnen beigebracht hat“ von 1987 zeigt ein dilettantisch hingekritzeltes Strichmännchengesicht. Die Darstellung unterläuft dabei jede denunziatorische Absicht: Das Bild ist Zeugnis des versagenden Schülers und zugleich der größte Triumph für den Lehrer – ohne die gezielte Verpfuschtheit würde man es gar nicht ausstellen. Ähnlich paradox wirkt auch das Video von (e.) Twin Gabriel: In „Billett Parnass“ sieht man die Gabriels mit Kind beim Weihnachtsfest in Halberstadt. Sohn Gabriel trägt ein Kleid und rote Strumpfhosen, während sich Mutter Gabriel einen falschen Bart angeklebt hat und zwischendurch als melancholischer Russe durch Fabrikhallen streift.

Der Geschlechtertausch setzt die verkehrte Welt der Nachkriegsgeschichte fort. Damals war Gabriels Heimatstadt zunächst den Amerikanern zugeschlagen worden. Dann wurde der Ort bei der russischen Armee eingetauscht – gegen den späteren amerikanischen Sektor von Berlin. Ohne den Kuhhandel der Besatzer-Väter gäbe es heute womöglich immer noch die deutsche Teilung.

„Dein Wille geschehe ...“, bis 2. 4., Di–So 12–20 Uhr, Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30