Abspritzen und Recodieren

Der Text ist meine Party und Tony Blair kein Popstar: Die Schriftsteller Thomas Meinecke, Andreas Neumeister, Tobias O. Meißner und Franz Dobler lasen in der Literaturwerkstatt und diskutierten über die Zusammenhänge von Literatur und Musik ■ Von Gerrit Bartels

In der Literatur ist es mittlerweile wie im richtigen Musikleben: Von Pop ist auch hier seit Jahren verstärkt die Rede, von schnellen Umdrehungen und Hypes, von Stars, Sternchen und Trends. Was der Begriff „Popliteratur“, den es laut Bret Easton Ellis im angloamerikanischen Raum gar nicht gibt, genau bezeichnet, kann allerdings niemand so genau sagen. Sind junge Schriftsteller Pop? Ist es die Inszenierung von Buch und Autor, die den Popfaktor ausmacht? Oder muss es nur irgendwo Spuren von Popmusik in den Büchern geben?

Auch Thomas Meinecke weiß um die Inflation und Entwertung von Pop, „trotzdem kann man mit Pop noch handwerklich arbeiten, man muss bloss wissen, dass Tony Blair eben nicht Pop ist“. Meinecke war einer der vier Schriftsteller, die am Mittwoch- und Donnerstagabend in der Pankower Literaturwerkstatt die Frage klären sollten, in wie weit Literatur Musik sein könne und diese sich umgekehrt im Text widerspiegele.

Um das allgegenwärtige Thema Popliteratur ging es allerdings nur im weitesten Sinne – denn die neben Thomas Meinecke eingeladenen Schriftsteller Dobler, Neumeister, Meißner gehören eigenartigerweise zu den Literaten, denen man in den seltensten Fällen das Präfix Pop verleiht. Obwohl gerade ihre Bücher entweder inhaltlich – Dobler, Meißner – oder auch zusätzlich in Stil und Form sehr viel mit Musik zu tun haben.

Am genauesten Auskunft geben über die Bedeutung von Pop und Musik auf seine Bücher konnte dabei Thomas Meinecke. Nachdem er, zum sechsten Mal übrigens in Berlin, wie er sagte, Passagen aus seinem Roman „Tomboy“ gelesen hatte, erzählte Meinecke, dass er mit der Musik von Brian Ferry und David Bowie Anfang der Siebziger aufgewachsen sei und Pop genau wie diese damals auch heute noch verstehe: Als Zitat, als Sample, als „Recodieren von Dingen“, in seinem Fall wohl eher von Diskursen. Ihm gehe es überhaupt um den „Verlust von Gewissheiten“ und darum, wie es weitergehe, wenn ein Sample beispielsweise in den Tracks von Basic Channel heutzutage praktisch nicht mehr recodierbar sei.

Das leuchtete ein, nur konnte sein Pendant an diesem Abend, der Country-Musik-Fan und Country-Geschichtenerzähler Franz Dobler mit dieser Form von Reflexion nicht so viel anfangen. Dobler, ganz der Rocker in ausgebleichter blauer Jeansjacke und schwarzer Jeanshose, ließ sich nur wenig auf die Ausführungen Meineckes ein. Natürlich nicht zuletzt deshalb, weil vor allem Musik das zentrale Thema seiner Erzählungen ist und er manchmal sogar Bio- und Diskografisches in seine Texte mit einbaut. In den besten Momenten funktionieren Doblers Geschichten zumindest wie ein guter Countrysong: In drei Minuten oder halt auf ein paar Seiten die Essenz des oft traurigen Lebens zu erfassen. Als Dobler seine Lesung zweimal unterbrach, um Singles aufzulegen, die eine große Rolle in seinen vorgetragenen Geschichten spielten, stand jedoch einmal mehr die Unvereinbarkeit von Musik und Literatur hinsichtlich Kontextualisierung und Inszenierung im Raum. Denn lassen sich Lesungen mit Musik oder anschließenden Parties ohne weiteres organisieren, so machen zwei Plattenspieler und Minimal Techno von Jörg Burger aus den angenehm kahlen und der Literatur only dienenden Räumen der Literaturwerkstatt noch lange keinen Club.

Immerhin spürte man aber am zweiten Abend sehr gut, dass die vier Schriftsteller nicht nur recht unterschiedliche Schreibweisen vertreten. (Wobei sich nebenbei die Frage stellte, warum eigentlich keine Schriftstellerin geladen war? Musik und Literatur, ein Jungsding?)

Lasen nämlich Meinecke und Dobler vor sozusagen ausverkauftem Haus, verloren sich am folgenden Abend gerade mal zwanzig Leute in der Literaturwerkstatt: Andreas Neumeister und Tobias O. Meißner scheinen eher unpopulär zu sein, ganz im Gegensatz zu Meinecke, der nach seiner Lesung auch zugab, in Berlin seine größte Fangemeinde zu haben. Anders als Dobler und Meinecke lieferten sich aber Neumeister und Meißner eine Art Gesprächsbattle, als sie von Moderator Tobias Rapp und auch aus dem Publikum auf ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede befragt wurden. Während Neumeister seinen Roman „Gut laut“ nur in den Kontexten elektronischer Musik angesiedelt sehen wollte und er beim Lesen von Meißners Roman vor allem Metal „hörte“, behauptete Meißner gewohnt selbstbewusst, sein Roman „Halbengel“ müsste nicht unbedingt einen Rockmusiker zur Hauptfigur haben, es hätte auch ein elektronischer Eigenbrötler wie Aphex Twin sein können.

Witzelte Meinecke einen Abend vorher noch darüber, dass Rock nur abspritze, wurde Tobias O. Meißer aber aus dem Publikum bestätigt, dass sein Rockmusikroman mehr berührt habe als beispielsweise „Gut laut“. Es sei nicht nur exaltiert, sondern geradezu transzendental. Und da staunten alle nicht schlecht.