Keiner hat mehr etwas zu verlieren

Noch nie hatte Senegal bei Wahlen solche Angst vor Gewalt wie jetzt. Denn noch nie waren die Chancen der Opposition so gut. Aber noch nie haben die ewig herrschenden Sozialisten eine Niederlage akzeptiert ■ Aus Dakar Veronika Eggersglusz

Auf dem Sandaga-Markt in der Dakarer Innenstadt laufen die Wahlvorbereitungen auf Hochtouren. Es wird geschweißt und gehämmert. Die Ladenbesitzer sichern ihre Geschäfte mit Stahltüren und Gittern. „Diese Wahlen werden sehr hart“, erklärt einer.

Niemand kann sagen, was in den nächsten Tagen in Senegal passieren wird. Der Ausgang der Wahlen am Sonntag ist so offen wie nie zuvor. Weil erstmals wichtige Politiker aus den Reihen der seit 40 Jahren regierenden Sozialisten gegen den Präsidenten antreten und die Unzufriedenheit der Bevölkerung immer größer wird, wird damit gerechnet, dass der seit 1980 amtierende Präsident Abdou Diouf im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit schafft und in einer Stichwahl geschlagen werden könnte.

„Der 27. Februar wird der Tag der Befreiung“

Die Anhänger des „ewigen Oppositionellen“ Abdoulaye Wade scheinen zu allem bereit. Sie wissen: Es ist wahrscheinlich seine letzte Chance. Der 73-jährige Wade tritt bereits zum fünften Mal zu Präsidentschaftswahlen an, und noch nie war er so siegessicher. Seine Rückkehr in den Senegal Ende Oktober nach einjährigem freiwilligen Exil wurde von Hunderttausenden gefeiert, seine während der Wahlkampagne initiierten „blauen Märsche“ entwickelten sich zu einer Massenbewegung durch das ganze Land.

Der 27. Februar werde „der Tag der Befreiung Senegals und seines Volkes“, erklärte Wade. Aus seiner Sicht könne die Sozialistische Partei (PS) Abdou Dioufs nur mit Betrug gewinnen. „Das Volk will den Wandel“, ergänzt Landing Savané, der zweite starke Mann in der „Koalition Wandel 2000“ (CA 2000), die sich um Wades Demokratische Partei Senegals (PDS) gebildet hat. „Und keine politische Macht kann ihn verhindern. Sollten sie es versuchen, wird das Land vor großen Schwierigkeiten stehen.“

Präsident Diouf sieht dies natürlich ganz anders. Zwar reduzierte er nun sein angestrebtes Ziel von 60 Prozent im ersten Wahlgang auf 51, doch sagt auch er ganz klar: „Ich werde gewinnen.“ Er kann sich vor allem auf seinen starken Parteiapparat verlassen.

Die Spannungen zwischen den beiden ewigen Widersachern sind enorm. Diouf tritt nach eigenen Bekundungen jetzt zu seiner letzten siebenjährigen Amtszeit an und sagt: „Dies ist meine letzte Schlacht.“ Auch Abdoulaye Wade hat nichts mehr zu verlieren. Bereits 1988 und 1993 kam es zu Ausschreitungen im Anschluss an die Wahlen. Damals appellierte Wade an seine Anhänger, die Vernunft zu bewahren, und verhinderte so Schlimmeres. Heute sagt er: „Ich werde jetzt nicht mehr zur Ruhe aufrufen. Diouf hat seine Position, ich habe meine. Wir werden beide davon nicht abweichen.“ Im Zweifel müsse das Militär die Kontrolle im Land übernehmen.

Schon in den vergangenen zwei Wochen kam es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen militanten Anhängern der beiden Parteien. Parteisitze und Privathäuser von PS-Mitgliedern wurden attackiert und in Brand gesteckt. Es gab zwei Tote.

Mehrere Skandale haben die Gemüter der Senegalesen erhitzt. So wurden zwei Bestände an Wahlkarten gedruckt: einer im Senegal und ein zweiter heimlich in Israel. Innenminister Lamine Cissé gab den zweiten Druck in Auftrag, ohne die Wahlkommission zu informieren. Seine Begründung: Die senegalesischen Karten seien nicht fälschungssicher.

Auf der Wählerliste haben Oppositionelle mehrere Tausend doppelt eingetragener Wähler gefunden, darunter ein Sohn Adbou Dioufs. Zudem soll es viel zu viele Wähler mit einem angegebenen Alter von über 100 Jahren geben. In der Stadt St. Louis wurden Fälle von Stimmenkauf bekannt: Für das Hergeben ihrer Wahlkarte wurde Anhängern der Opposition angeblich bis zu 75 Mark geboten.

Große Teile Dakarsversinken in Abfallbergen

Neben den beiden Dauerkontrahenten Diouf und Wade stehen noch weitere sechs Kandidaten zur Wahl. Zumindest zwei unter ihnen dürfen sich noch Hoffnungen machen und Dioufs Chancen weiter schmälern: Djibo Leity Kâ und Moustapha Niasse, beide ehemalige Minister und Ex-Mitglieder der Sozialistischen Partei Dioufs, die der Regierungspartei enttäuscht den Rücken gekehrt haben.

Kâ, ehemals Informations-, Innen- und zuletzt Außenminister, konnte bei den Parlamentswahlen 1998 mit seiner neu gegründeten „Union für die demokratische Erneuerung“ (URD) auf Anhieb 13 Prozent der Stimmen erlangen. Niasse, lange Zeit die Nummer zwei der Sozialisten, gründete letztes Jahr die „Allianz der Kräfte des Fortschritts“ (AFP). Das Vertrauen vieler in ihn begründet sich vor allem auf seine Selbstlosigkeit: Er spendete ein Ministergehalt einem Universitätsfonds.

Hinzu kommt, dass sich erstmals in der Geschichte Senegals auch die einflussreichen Marabouts, die muslimischen Führer, im Wahlkampf zurückhielten. Sie sprachen nicht – wie sonst üblich – eine Wahlempfehlung zu Gunsten eines Kandidaten aus, was traditionell der Regierungspartei nützte. So können sich die religiösen Anhänger frei entscheiden.

Politische Neuerungen werden auf jeden Fall kommen. Denn auch der amtierende Präsident Diouf wirbt mit dem Slogan: „Lass uns zusammen den Senegal ändern.“ Viele Menschen vor allem in den Städten sind mit ihrer Lage unzufrieden. In Dakar liegt die geschätzte Arbeitslosenquote bei 20 Prozent. Nicht selten muss eine einzelne Person die Großfamilie ernähren. Das Hauptnahrungsmittel Fisch wird immer teurer. Große Teile der Stadt versinken unter Abfallbergen oder ersticken im Smog. Selbst für die Hochwasserkatastrophen im vergangenen Herbst wird der Präsident verantwortlich gemacht. Zwar kann er auf ordentliches Wirtschaftswachstum verweisen, doch der kleine Mann merkt davon nichts.

Sollte es tatsächlich zu einem Wechsel auf dem Präsidentensessel kommen, würde dies die komplette politische Neuordnung des Landes bedeuten. Denn wie in Frankreich hat der Präsident Senegals das Recht, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen zu veranstalten. Dies haben fast alle Oppositionskandidaten für den Fall des Erfolges angekündigt.

Doch fürchten viele, dass es erst mal eine Eskalation der Gewalt geben könnte. Die Botschaften Europas und der USA haben für ihre Staatsangehörigen Evakuierungspläne ausgearbeitet. Das französische Militär verstärkte seine senegalesische Basis mit Kräften einer schnellen Eingreiftruppe, die im Zweifel die Evakuierung durchführen sollen.