Die Basis schätzte die Bockwurst

■ Mit einer Kampagne gegen Wohnungsprivatisierungen will die PDS die große Koalition unter Druck setzen. Kämpferisch war der Parteitag am Wochenende trotzdem nicht

Stefan Liebichs großer Auftritt ist keiner. Erstmals eröffnet der frisch gewählte stellvertretende Landesvorsitzende der PDS an diesem Samstag einen Parteitag. Doch beinahe bemerkt niemand, dass seine Ansprache begonnen hat. Als der Marzahner zum Mikrofon greift, wird an den Tischen im Saal der Bezirksverordnetenversammlung Prenzlauer Berg weiter geschwatzt wie zuvor. Nur vereinzelt verfolgen die Delegierten die Ansprache Liebichs, der seinen Text gleichförmig vorträgt.

Pflichtgemäß kritisiert Liebich die Vorstöße des Innensenators gegen das Demonstrationsrecht, erwähnt die „enormen sozialen Folgekosten“ der Privatisierung von städtischem Wohnraum, die Notwendigkeit eines breiten Bündnisses gegen die zunehmenden Neonazi-Aufmärsche. Die Delegierten nehmen es zur Kenntnis.

„Ein Parteitag ist vor allem ein soziales Ereignis“, erklärt eine Frau am Nebentisch die Stimmung bei den Genossen. Fehlt nur noch die Blasmusik. Und der Kartoffelsalat. Stimmt! Noch lange bevor Liebich zu Ende gesprochen hat, pilgern die Delegierten aus dem Saal, um sich in der Küche mit Bockwurst, Hackepeter-Brötchen und anderen Leckereien zu versorgen. „Alles selbst gemacht“, wie die Lichtenberger Abgeordnete Gesine Lötzsch während der Pause nicht ohne Stolz mitteilt. „Die PDS ist eben die Partei der Bescheidenheit“, schiebt sie lächelnd hinterher. Im Saal verhält sich das Publikum kurz darauf etwas unbescheiden. Mehrmals muss Lötzsch vom Podium aus zur Ordnung mahnen. „Wer nicht hören will, soll rausgehen“, stimmt ihr ein älterer Herr mit weißem Hemd und Krawatte zu.

Die Tischnachbarn, die gerade in eine Plauderei vertieft sind, lassen sich davon freilich kaum beeindrucken. Und das, obwohl Fraktionschef Harald Wolf am Rednerpult gerade von dem Plan spricht, „die SPD praktisch in Bedrängnis zu bringen“ und „ein zentrales Vorhaben der großen Koalition zu Fall zu bringen“.

Mit der Kampagne „Wohnen – sicher und bezahlbar“ will die PDS in den kommenden Monaten unter Beweis stellen, dass die Partei auch außerhalb des Wahlkampfes kampagnenfähig ist. In der Wohnungsfrage haben die Genossen „politischen Sprengstoff“ entdeckt, wie die Fraktionsvorsitzende Carola Freundl formuliert. 130.000 Wohungen will der Senat in den kommenden Jahren privatisieren. Liebich sagt es so: „Beim Senat gelten Wohnungsbaugesellschaften schon seit einigen Jahren nur noch als Vermögenstitel zur Deckung der Defizite des Landeshaushaltes.“ Auch unter finanzpolitischen Gesichtspunkten sei dieses Vorgehen unsinnig.

Zusammen mit Gewerkschaften und Mietervereinen wollen die Genossen die Forderung nach einer sozial gerechten und finanzpolitisch vernünftigen Wohnungspolitik in die Öffentlichkeit tragen und damit auch im Westteil der Stadt Pluspunkte sammeln. Widerspruch gegen dieses Vorhaben gibt es kaum, rapide ist das Plansoll übererfüllt – die Tagesordnung ist an diesem Vormittag schneller abgearbeitet, als in der Küche das Mittagessen warm gemacht werden kann.

Einen kleinen Skandal liefert immerhin Cornelia Hildebrandt, Mitglied des Landesvorstandes, als sie ihre frühere Tätigkeit für die Staatssicherheit eingesteht, die sie – entgegen den Parteistatuten – noch im Dezember bei ihrer Wahl in den Landesvorstand verschwiegen hatte. Doch auch hier bleibt der Parteitag gelassen. Persönliche Konsequenzen seien nicht im Gespräch, sagt Parteisprecher Axel Hildebrandt, da der Sachverhalt intern bereits bekannt gewesen sei. Aber schön, dass alle wieder einmal zusammengekommen sind.

Andreas Spannbauer