Das System heißt in diesem Fall Krassimir

Mit Glück und exzellentem Balakow gewinnt der VfB Stuttgart 3:1 in Duisburg

Duisburg (taz) – Als alles vorbei war, stand vor dem VIP-Eingang des Wedau-Stadions ein Pulk von Fans des MSV Duisburg und ließ keinen Zweifel daran, wer seiner Meinung nach den Verein schleunigst verlassen und wer weiter seine Arbeit machen sollte. Ein Transparent verkündete: „Funkel muss bleiben, Aufsichtsrat vertreiben.“ Der Aufsichtsrat ist jene Ansammlung von Männern, von der während der Woche bekannt geworden war, dass sie Trainer Friedhelm Funkel lieber heute als morgen feuern würde. Doch das müsste der Vorstand tun, und der sah es nach dem Spiel gegen den VfB Stuttgart genauso wie schon vor dem Spiel und mithin ebenso, wie es auch die Fans sehen: Der Trainer bleibt. Dabei sprach das Ergebnis nicht für Funkel. Duisburg hatte gerade 1:3 verloren und verzeichnet nun, nachdem von den letzten sieben Spielen sechs mit Niederlagen endeten, bereits acht Punkte Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz.

Auch Vorstand und Trainer wissen, dass der Klassenerhalt immer utopischer wird. Anlass zu Panik oder Aktionismus gibt ihnen das nicht. Im Gegenteil. „Ich habe hier dreieinhalb Jahre gute, solide Arbeit geleistet, und ich traue mir zu, weiter mit der Mannschaft zu arbeiten – in der ersten oder in der zweiten Liga“, sagte Funkel. Und für den Vorstand leistete Dr. Carsten Müller einen Treueschwur, der weit in die Zukunft weist und zumindest im ersten Teil von Realitätssinn geprägt ist: „Wir wollen – nach dem Modell Freiburg – mit diesem Trainer ab- und wieder aufsteigen.“

Während die Duisburger derart abgeklärt ihren Weg in den vierten Bundesligaabstieg der Vereinsgeschichte skizzierten, stand ein paar Schritte weiter Stuttgarts Trainer Ralf Rangnick und dozierte mit großem Vergnügen über die Kompatibilität von Balakow und Spielsystem, über Stärke- und Schwächephasen im Pressing, über den Sinn des Spiels mit nur einer Spitze. Kurz gesagt: „Es war ein wegweisendes Spiel, und ich bin überzeugt, dass es die Weichenstellung in die richtige Richtung war.“

Schon in der Vorrunde stellte ein 4:2-Erfolg über den MSV für die Stuttgarter einen Wendepunkt dar. Vielleicht wiederholt sich die Geschichte. Es wäre nach vier Niederlagen in Serie eine sehr, sehr glückliche Wendung. Denn aller Euphorie des Trainers zum Trotz hatte Stuttgart vor allem eines: Glück. Viel hätte nicht gefehlt, dann hätte Rangnick statt Funkel Fragen zu seiner persönlichen Zukunft beantworten müssen und nicht über die spezifischen Leistungsmerkmale seiner Stürmer referieren können.

Glück also. Am Anfang des Spiels hatte der VfB Glück, weil Duisburg gegen die wie paralysiert durch die eigene Defensive stolpernde Gästeelf den Führungstreffer hätte erzielen können; zwischendurch, weil es einen harten Platzverweis gegen Hirsch (35.) nach Foul an Soldo gab; und am Ende, weil Schiedsrichter Meyer beim Stand von 1:2 ein Tor von Beierle fälschlich wegen Abseits nicht anerkannte. Anschließend verlor Duisburg auch noch Torwart Stauce, der als letzter Mann Gerber von den Beinen holte und rot sah. Nach dem fälligen Freistoß fiel das 1:3 durch Dundee.

Außer das Glück bis zum Äußersten zu strapazieren, hatte Stuttgart allerdings tatsächlich auch selbst etwas zu bieten: nämlich Krassimir Balakow. Der Kapitän erzielte direkt nach dem 1:0 den Ausgleich, und zwar nach wunderbarer Vorarbeit von Lisztes, mit dem er Seite an Seite und bisweilen auch kooperativ agierte. Balakow machte kurz vor der Pause auch das 1:2. Und mehr noch: Er rannte und rackerte und organisierte und feuerte an und belobigte und verabschiedete ausscheidende Spieler per Handschlag. Er hatte einen richtig schönen Tag. „Wenn Balakow so spielt wie heute“, sagte Rangnick, sei es „überhaupt keine Frage“, dass das System und der Kapitän zusammen passten. Und dann hatte der Trainer für alle, die denken, System habe im Ansatz etwas mit Aufstellung zu tun, noch die Weisheit parat, dass System ganz allein eine Frage der Einstellung ist: „Das System ist nicht die Grundordnung, das System ist, mutig zu spielen.“ So gesehen, ist Balakow schon das halbe System, insgesamt hingegen hat Stuttgart dann noch einen weiten Weg vor sich. Aber dieses Spiel war ja auch erst die Weichenstellung.

Katrin Weber-Klüver