War Helmut Kohl ein reißender Wolf?

Die Bonner Staatsanwaltschaft prüft den Vorwurf, der Altbundeskanzler hätte Akten aus dem Kanzleramt vernichtet. Kohls Sprecher findet die Unterstellungen „immer absurder und „unerträglicher“ ■  Von Karin Nink

Berlin (taz) – Hat Altbundeskanzler Helmut Kohl selbst Akten beseitigt oder vernichten lassen? Das will offensichtlich niemand mehr ausschließen. Für die Bonner Staatsanwaltschaft jedenfalls gab es nach einem anonymen Schreiben eines „Beobachters und Insiders“ Verdacht genug, am vorigen Dienstag die Räume des CDU-Landesverbandes Rheinland-Pfalz durchsuchen zu lassen.

Nach Informationen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel verdächtigen die Justizbeamten den Altkanzler, in den Räumen des CDU-Landesverbandes Rheinland-Pfalz 1998 Akten aus dem Kanzleramt eingelagert zu haben. Der leitende Staatsanwalt Bernd König bestätigte: „Ich kenne das Schreiben. Bei der Durchsuchung hat es eine Rolle gespielt.“

Wie es heißt, soll Kohl nach der verlorenen Bundestagswahl 1998 „jeweils spät abends“ im Bundeskanzleramt Akten „gesichtet und ausgesondert“ haben. Dabei soll es sich nach Meinung der Staatsanwaltschaft aber nicht um Regierungsunterlagen handeln, sondern um Papiere, über die Kohl „privat oder aber in seiner Eigenschaft als Parteivorsitzender der CDU verfügte“. Bei der Durchsuchung in Mainz sind nach Auskunft von Staatsanwalt König „einige Unterlagen mitgenommen, aber bisher noch nicht ausgewertet worden“.

Altkanzler Kohl dementierte den Vorwurf, er habe persönlich Akten verschwinden lassen. „Zu keinem Zeitpunkt hat Herr Dr. Kohl Regierungsakten oder Dokumente der CDU beseite geschafft oder deren Beseitigung veranlasst“, sagte sein Sprecher. Form und Inhalt der gegen Kohl „gerichteten Unterstellungen werden immer absurder und unerträglicher“, klagt er. Im Zusammenhang mit dem CDU-Finanzskandal ermittelt die Bonner Staatsanwaltschaft bereits seit einigen Wochen gegen Kohl wegen des Verdachts der Untreue und gegen Unbekannt wegen verschwundener Akten im Kanzleramt.

So kommt auch der Verdacht, dass Kohl Akten habe beseitigen lassen, nicht von ungefähr. Schließlich sind schon vor dem Regierungsumzug im Kanzleramt nicht nur Akten zu dem Verkauf der ostdeutschen Leuna-Raffinerie, sondern auch zu anderen Geschäften abhandengekommen, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass Entscheidungen der Regierung Kohl durch Schmiergeldzahlungen beeinflusst worden sind.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Unterlagen vorsätzlich und auf Anordnung „von oben“ vernichtet worden sind. Die alte Kohl-Regierung argumentiert zwar, dass sechs schon 1997 verschwundene Ordner in Kopie vorlägen. Nach Informationen der SPD fehlen aber weit mehr Akten, von denen es keine Abzüge mehr gibt. Andere Unterlagen sollen verändert worden sein. Außerdem sind Computerplatten manipuliert und gelöscht worden.

Unterdessen befürchtet der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, dass es in Folge der CDU-Finanzaffäre zu einer schweren Staatskrise kommen könnte. Er kritisierte im Berliner Tagesspiegel, das Verhalten der christdemokratischen Politiker Helmut Kohl und Manfred Kanther komme einer Aufkündigung der Grundwerte gleich – den Grundwerten der Wahrhaftigkeit, der Verlässlichkeit und der Treue zum eigenen Amtseid.