Dampfplauderer auf dem Sprung

■ Aus Großmutters Radio MDR wird „Jump FM“, aus „Jump FM“ wird „Jump“ – wie der Sender mit dem wahrscheinlich längsten Namen der Welt verlorenen Hörern nachjagt

Spätestens seitdem Werbestrategen die „Generation Golf“ kreierten, weiß man, dass Alter sich heutzutage über ein Produkt definiert. Politik ist eine Frage der Standortbestimmung – Stichwort „Neue Mitte“ – und Radio nur eine Frage der Lautstärke.

„Es geht lauter“, schallt es den Hörern am Standort Mitteldeutschland seit Anfang des Jahres entgegen. Als Nachfolger von „MDR life“, dem erfolglosen Jung-Sender des Mitteldeutschen Rundfunks, suchte „Jump FM“ nach verlorenen Hörern. Doch kaum war die erste Werbemillion verpulvert, hieß es Abschied nehmen vom knalligen Senderlabel. Das Berliner Radio „Jam FM“ klagte wegen Verwechslungsgefahr auf Unterlassung und bekam letzte Woche Recht. Nun sprechen die MDR-Moderatoren nur noch vom „Sender, der bis auf weiteres Jump heißt“. Und statt der alten Trailer wird ein kurzerhand umgetextetes HipHop-Stück eingespielt: „Sie sind weg – ein Berliner Marmeladensender hat uns das F und das M geklaut.“

„Jump“ duzt die Hörer, will aber kein Jugenradio sein

Zur Vorgeschichte: Als „MDR life“ 1992 als werbetreibende Popwelle startete, war die Ultrakurzwelle in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen noch übersichtlich strukturiert. Das änderte sich, als Privatsender an den Start gingen. Der Werbekuchen und die bis dato 620.000 „Life“-Hörer verteilten sich neu. Der nun einsetzende Abwärtstrend für „MDR Life“ führte zu einer schleichenden Umformatierung vom Musik- zum Service-Radio, bis man im Sommer 1999 beim Slogan „Mittendrin“ angekommen war. Damit war nicht nur eine geographische Standortbestimmung gemeint, sondern vor allem Häppchen-Funk für alle. „Man hat an dem Programm herumgedoktert“, erkannte MDR-Hörfunkdirektorin Barbara Molsen, als die Media-Analyse im Juni 1999 nur noch 150.000 Hörer in der „Werbestunde“ auswies: „MDR life“ hatte ein Image- und Präsentationsproblem, galt als bieder, blass und verwechselbar. Stets sächselnden Moderatoren wie „Ecke, dem Vollstrecker“ mag ja noch Kultcharakter zugebilligt werden. Aber spätestens bei der vierten Schleife des 24-Stunden-Dreiklangs von TopTen, US-Charts und Hörerwünschen nehmen nicht nur Feingeister Schaden. Darüber hinaus setzten Hörer „Life“ mit dem MDR als Ganzen gleich, der wegen konsequenten Heimatschnulzengeschunkels zwar zu den quotenträchtigsten Formaten Deutschlands gehört, aber eben auch ein Image als Großmamas Radio mit sich herumschleppt. „Wir hätten uns zu Tode reformieren können, ohne den Sender wieder auf den Weg zu bringen“, klagt Barbara Molsen. Deshalb: Neustart, Abschied vom übermächtigen MDR-Logo.

Seit November waren die Straßen im „Lifeland“ gepflastert mit Plakaten, die fragten „Darf ein deutscher Radiosender Jump FM heißen?“. Die Frage scheint geklärt, Programmchef Michael Schiewacks Sanierungskonzept (Motto: „Jump FM ist ein Lebensgefühl“) ist selbst zum Sanierungsfall geworden. Schiewack gehört mit seinen 48 Jahren zwar nicht zur Zielgruppe der „nachwachsenden erlebnishungrigen Generation in der Mitte Deutschlands“. Als Chef des 1992 vom MDR als „MDR Sputnik“ übernommenen Jugendradios DT 64 schien er seiner Hörfunkdirektorin aber qualifiziert, „Jump FM“ zur Marktführerschaft zu verhelfen. „Die ist Pflicht“, sagt Schiewack.

Pflicht ist auch der öffentlich-rechtliche Auftrag des MDR, an den nun ausgerechnet die private Konkurrenz erinnert – schließlich kämpfen mit „Jump“ und „Sputnik“ gleich zwei MDR-Sender um die werberelevante Hörergruppe. Schiewack ficht das nicht an: „Sputnik“ sei kein Massenprodukt und „der Sender, der vorübergehend Jump heißt“ sei auch kein Jugendradio. Aber was, wenn nicht ein Jugendradio, duzt seine Hörer? Schiewack empfindet die saloppe Anrede eher als Frage der Identifikation denn des Alters: „Auf diese Weise kann das Angebot von ‚Jump‘ zu einer sehr persönlichen Sache zwischen Moderatoren und Zuhörern werden.“

Keine Nachrichten ohne Musik im Hintergrund

Doch hat sich außer dem Namen „einer Produktion des Mitteldeutschen Rundfunks“, wie es verschämt zwischen DJ Bobo und Mister President versteckt heißt, wirklich auch das Format geändert? Die Moderatoren sind noch jünger, ihre Texte noch kürzer und die Musik ist noch ein bisschen „hipper“ geworden. Und lauter, natürlich. Auch mehr als sieben Wochen nach dem Sendestart scheint die Suche nach den verlorenen Hörern eher eine Jagd zu sein: Aggressiv, kalt-gestylt und knallhart zielgruppenorientiert klingt das neuformatierte Programm. Ohne Instrumental-Unterlegung kommen selbst die Zwei-Minuten-„Nachrichten“ zur vollen Stunde nicht aus. Passenderweise ordnet die Moderatorin darin gleich zwei der in Ägypten verunglückten Bustouristen dem „Jump-Gebiet“ zu. Und der nachfolgende Serviceteil von manchmal bis zu drei Minuten hat es sich zur Aufgabe gemacht, auch dem letzten Blitzer im „Jump-Gebiet“ seinen Schrecken zu nehmen. Damit zur samstäglichen Disco-Tour richtig aufdrehen kann, wer sich nicht – auch das ist „Jump“ – die ganze Nacht mit Techno grundversorgen lassen will.

„Jump“ bedeutert laut Definition der Werbestrategen „Bewegung, Dynamik und Kraft – und zwar immer nach vorn. Wer springt, ist jung und risikofreudig genug, um sich auf etwas Neues einzulassen.“ Wem so viel Erneuerung unheimlich ist, der kann ja immer noch abspringen. Das aber sagen die Werber nicht.Jörg Völkerling