„Wir haben euch unsere Zweitstimmen nur geliehen“

Ein grünes Ministeramt soll in Zukunft genügen: Die siegreiche SPD in Schleswig-Holstein betrachtet die gerupften Bündnisgrünen nur noch als lästige Mehrheitsbeschaffer

Die Schamfrist währte nur wenige Stunden. Noch während eine glückselige SPD-Basis am Wahlabend in Kiel rote Rosen für Heide Simonis regnen ließ und den Sieg der rot-grünen Koalition in Schleswig-Holstein feierte, stellte die Ministerpräsidentin klar, dass sich an ihrer Geringschätzung für den Koalitionspartner nichts geändert hat: „Ich möchte, dass wir jetzt ganz schnell einen Koalitionsvertrag hinkriegen“, sagte sie. Dann, spitz: „Das Papier darf nicht so lang werden wie beim letzten Mal, das ist auch nicht gut für die Umwelt.“ Im Übrigen könne sie sich „Schöneres vorstellen, als nachts mit den Grünen zu verhandeln“.

Für die Genossen im Norden sind die Machtverhältnisse damit geregelt: Die Grünen haben ihnen die Mehrheit beschafft. In der künftigen Landesregierung aber dürften sie noch weniger zu melden haben als bisher, zumal die Grünen von 8,1 (1996) auf 6,1 Prozent gesunken sind. Den Wiedereinzug ins Landesparlament, so höhnen viele SPDler am Tag nach der Wahl, verdanke die Ökopartei ohnehin nur „den Zweitstimmen, die wir ihnen geschenkt haben“. Entsprechend gedämpft ist die Stimmung bei den Grünen. Während Simonis am Wahlabend um kurz vor Mitternacht ausgelassen im Kreis ihrer Parteifreunde tanzt, versammelt sich die Landesspitze der Grünen bereits zu einer ersten nichtöffentlichen Sitzung. Die Basis, der auch nicht recht zum Feiern zumute ist, muss allein in der Kneipe abhängen.

„Man kann das Ergebnis nur mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Kieler Grünen, Karl-Martin Hentschel, gestern Morgen. Die Grünen müssten künftig „nicht nur darauf achten, dass sie gute Politik machen, sondern dass das auch in der Öffentlichkeit so wahrgenommen wird“. Landesvorstandssprecher Peter Swane klagte, die Grünen hätten „erheblich an den Südschleswigschen Wählerverband und die PDS verloren“. In jedem Fall, das erklärte der grüne Energiestaatssekretär Willi Voigt, „erzwingt dieses Ergebnis eine Personaldebatte“. Die ist auch bitter nötig. Der schleswig-holsteinische Landesverband, so die Kritik führender Grüner aus Bund und Ländern, sei „in einem lausigen Zustand“. Interne Querelen und zu wenig Regierungserfolge, lauten die Vorwürfe.

Als sicher gilt, dass die bisherige grüne Frauenministerin Angelika Birk auf die politische Hinterbank rücken muss. Ihr „Ministerium für Nestbau“, spotten führende SPDler bereits, werde ohnehin ersatzlos aufgelöst. Zumal die Zahl der Ministerien voraussichtlich um eines verringert werden soll, wie SPD-Fraktionschef Lothar Hay gestern ankündigte. Bei der SPD steht ein Wechsel im Innenministerium bevor: Amtsinhaber Ekkehard Wienholtz scheidet auf eigenen Wunsch aus dem Kabinett aus; ihm folgen könnte der bisherige Landwirtschaftsminister Klaus Buß.

Angesichts des schlechten Wahlergebnisses ihres Koalitionspartners hat die SPD bereits durchblicken lassen, den Grünen künftig nur noch ein Ministerium zuzugestehen. Dagegen wehren sich die Grünen mit Händen und Füßen. „Um handlungsfähig zu sein, braucht man zwei Ministerien“, so Hentschel – und verweist ausgerechnet auf die FDP in Hessen. Die habe vor einem Jahr mit nur 5,1 Prozent auch zwei Minister stellen dürfen. Zudem, versichert Parteichef Swane, werde es diesmal mit den Grünen „keine Knackpunkte“ geben. Anstatt sich „um jede Autobahn zu streiten“, setzen die Grünen nun auf die Entwicklung „verkehrspolitischer Alternativen“.

Personalentscheidungen sollen bis Ende der Woche gefällt werden. Unsicher ist die Zukunft des grünen Umweltministers Rainder Steenblock. Nach der Ölkatastrophe vor der Nordseeinsel Amrum im Spätherbst 1998 würde so mancher Grüner Steenblock gern beerben und ihn beispielsweise mit dem Fraktionsvorsitz abfinden. Das Umweltministerium wollen – und dürften – die Grünen in jedem Fall behalten. Chancen werden da vor allem Energiestaatssekretär Voigt eingeräumt, der derzeit unter dem SPD-Minister für Finanzen und Energie, Claus Möller, dient. Denn die Grünen wollen künftig nach eigenen Angaben als „Trendsetter im Bereich erneuerbarer Energien“ bei den Wählern punkten. Doch Voigt hat gestern bereits abgewunken.

Spekulationen, die derzeitige Bundesvorstandssprecherin Antje Radcke, deren Chancen auf Amtsverlängerung auf der Kippe stehen, könne Ministerin in Schleswig-Holstein werden, ließ Radcke gestern dementieren. Auch in Kiel wurde ihre Kandidatur eher für abwegig gehalten.

Heike Haarhoff, Kiel