Big Bartelsstraße

Neue taz hamburg-Serie : Wir dokumentieren das Leben einer Schanzenviertel-WG – lückenlos  ■ Von Peter Ahrens

Die taz hamburg steht vor einer neuen Ethik-Debatte. Schon bevor heute unsere Dauerserie „Big Sister – die taz immer dabei“ startet, haben bereits zahlreiche LeserInnen mit der Androhung von Abo-Kündigung und massiven Protesten reagiert. In der Redaktion stapelt sich die Leserpost mittlerweile wäschekörbeweise. Die Ankündigung, die taz werde das Leben einer Wohngemeinschaft im Schanzenviertel rund um die Uhr begleiten, hat uns den Ruf der „Menschenverachter“ (Leser F. Schorlemmer, Eimsbüttel) eingebracht. Die Redaktion nimmt diese Leserkritik ausgesprochen ernst, hat sich allerdings nach intensiven – teilweise kontroversen – Diskussionen entschlossen, die Serie trotzdem heute beginnen zu lassen. Tenor der Redaktionskonferenz: „Wir von der taz wollen immer alles wissen.“

Schanzenviertel, Bartelsstraße: Drei Zimmer, Küche, Bad. 73 Quadratmeter Hamburg. Mittwoch, 10.54 Uhr: Frühstück. Helga, lebenslustige 24-jährige Germanis-tikstudentin (Nebenjob Teilzeit-Multimedia-Assistentin in der Speicherstadt) brüht sich einen Kaffee auf. Wir gehen ganz dicht dran. (Medienjargon: Voll draufhalten). Jeder Muskel in ihrem angespannten Gesicht (Treffe ich tatsächlich die Kaffeekanne, oder schütte ich etwas über?) wird sichtbar, uns entgeht nichts. Darf man das? Skrupel jetzt gar nicht erst hochkommen lassen.

10.56 Uhr: Martin, 27, Taxifahrer (Nebenjob Philosophiedozent an der HWP, zweiter Nebenjob Multimedia-Assistent, Speicherstadt) geht zum Klo. Dort haben wir gleich zwei KollegInnen postiert, einer im Waschbecken, die andere im Wasserkasten. Vorgabe: Die LeserInnen wollen alles wissen (siehe oben), die ganze Wahrheit. Die lautet: Martin wäscht sich die Hände. Putzt sich die Zähne. Ist das Öko-Zahnpasta? Martin wird rot.

Leben inzwischen auch in Ale-xandra, 19, Multimedia-Assistentin, (Nebenjob Creative Director). Sie geht in die Küche. Wir hinterher. Es ist 10.59 Uhr geworden. Alexandra: „Morgen.“ Helga: „Morgen.“ Alexandra: „Ist das Bad frei?“ Helga: „Ich glaub, Martin ist drin.“ Alexandra: „Dann warte ich noch.“ Helga: „Hmm.“ Alexandra gähnt. Und jetzt – ja, jetzt: Sie schüttet sich auch Kaffee ein. Nein, doch nicht: Alexandra trinkt nur Grünen Tee.

Es ist elf Uhr geworden, im Radio laufen die Nachrichten. Martin duscht gerade, das Bad ist bedauerlicherweise so voller Wasserdampf, dass die KollegInnen nichts sehen können. Aber wir bleiben am Ball. Noch haben wir 23 Stunden Zeit, dass sich sämtliche Nebel lüften.

Morgen: Martin und der Putzplan/ Alexandra beim Wocheneinkauf. Und: Wer hat das Teesieb geklaut?