Voodoolicious

Geht längst mit Duke Ellington fischen: Dr. John spielt heute Abend in der Markthalle  ■ Von Klaus Walter

In Fragen der Persönlichkeitsspaltung ist er reif für den Wu-Tang-Clan. Malcolm John Rebennack alias Dr.John, Mac Rebennack, Dr. John The Nitetripper, Dr. John Creaux, Voodoo Doctor. Seit fast sechzig Jahren lebt der multiple Doctor in New Orleans. Mehr als die Hälfte dieser Zeit trug Dr.John zu Mythos und Folklore des notorischen Schmelztiegels bei. Und genau gegen die allfällige New-Orleans-Gumbo-Folklore mit ihrem hochkolorierten Voodoo-Big Easy-Angel Heart-Bedeutungshof wäre Dr.John eigentlich zu verteidigen – wenn er nicht auch davon profitierte. Genauso wie gegen seine britischen Verehrer – profitierte er nicht auch von ihnen.

Paul Weller zum Beispiel garniert seine Konzert genannten endlosen Reihen von Mid-Tempo-Stevie Winwood-Verkörperungen, die mit den Jahren immer mehr zu Joe-Cocker-Verkörperungen mutieren, zur Abwechslung mit zeichenschweren Rock-Ikonen: Dann muss auch mal Neil Youngs „Ohio“ dran glauben. Oder eben „Walk on guilded splinters“, das in den Bann ziehendste, Voodoofunk-definierende Herzstück des sowieso sonnengottgesegneten Gris Gris-Albums. 1968 verschmolz Rebennack darin seine Professor-Longhair-R&B-Piano-Fixierung mit hedonistischen Spiralen der Entgrenzung zu einem Befreiungsschlag, der nie wirklich dem synkopierten Groove entkommen wollte, auf dem die Meters und ihre Freunde Häuser bauten und wieder zum Einsturz brachten. Gris Gris stand knietief im kulturellen und linguistischen Sumpf Orleans, einem der Knotenpunkte kolonialer Waren- und Menschenströme, an dem die französischen und britischen Herren recht- und mittellose Bastarde hinterließen, deren kulturelle Bastardschätze in the long run wie immer allenfalls folkloristischen Elendstourismus nach sich zogen.

Doch für Dramen dieser Art bietet Gris Gris keinen Trost, für Überlebende und Voyeure dagegen ein Stück psychedelischen Rhythm & Blues, das in ein und dieselbe Umlaufbahn gehört wie der Riot von Sly & The Family Stone. Und auch da war von Hautfarben keine Rede.

Paul Weller holte die Guilded splinters gründlich down to earth und promovierte 30 Jahre danach mit seiner pubrockenden Hinrichtung des Voodoofunk-Gründungsmythos vom Modfather zum Doc-father. Unter seiner Federführung entstand 1998 größtenteils in England das Album Anutha zone. Und wenn je gut gemeint das Gegenteil von gut ist, dann hier. Ein tragischer Fall historischer Wiederholung – als Farce: Von Weller motivierte Dr.John-Fans aus dem 90er-Jahre-Popbritannia (Spiritualized, Supergrass, Primal Scream, Beta Band, Portishead) spielen Abenteuerland Swampland. Dem Doctor solls recht sein, die Jugend kauft seinen Back-Katalog und er geht fischen mit Duke Ellington, zumindest auf seinem neuen Album.

Dass er im November 60 Jahre alt wird, sieht man ihm nicht an. Schon Mitte der 80er kam er als schwergängiger alter Mann mit Krückstock auf die Bühne, lebensfähig schien er nur am Klavier. Wie man hört, geht es ihm heute besser. Dr. John lebt gesünder. Der Nachteil: Seine letzten Platten bestätigen die ödesten authentizistischen Künstler-Mythen. Wahre Kunst kommt aus tiefem Leid (Plath), keine Schönheit ohne Gefahr (Bargeld), Qualität kommt von Qual (Magath): Schön, dass sich der Doctor erholt hat, aber seine besten Platten hat er gemacht, als es ihm dreckig ging.

Sumpfigen Junkie-Funk der Gris Gris-Klasse kann man halt nicht unter ärztlicher Aufsicht simulieren. Malcolm John Rebennack hat sich erfolgreich gegen die Buckley-Cobain-Option wie gegen den Arthur-Lee-Sly-Stone-Weg in geschlossene Anstalten gewehrt. Wie Van Morrison hat er seine größte Musik vor dreißig Jahren aufgenommen. Während Morrison heute gemütliche Skiffle-Shows gibt, kann sich Dr.John jederzeit auf den seit Professor Longhair patentierten New-Orleans-Katalog verlassen. Ihm dabei zuzuschauen ist allemal amüsanter als der devoten Mühsal seiner englischen Adepten beizuwohnen.

Markthalle, 21 Uhr