Du sollst keine Verträge brechen!

■ Wegen „Ehebruchs“ entlassener Kirchenmusiker noch immer ohne Job / Kirchengemeinde wehrt sich weiterhin

Von Moral war keine Rede mehr. Der Gerichtsstreit zwischen dem Vegesacker Kantor Michael Kris-tahn und der evangelischen Kirchengemeinde St. Magni ging ges-tern in eine neue Runde. Mit - so scheint es - schlechten Aussichten für die Sittenwächter, die das siebente der zehn Gebote und das deutsche Arbeitsrecht durcheinandergebracht hatten.

Die Vorgeschichte: Der Kirchenvorstand hatte den Musiker im Januar vergangenen Jahres als „Ehebrecher“ gebrandmarkt und fristlos entlassen (die taz berichtete). Der verheiratete, jedoch getrennt von seiner Frau lebende Musiker hatte sich zuvor öffentlich zu seiner Beziehung mit der damaligen Jugendreferentin der Gemeinde bekannt. Von „Loyalitätsbruch“ gegenüber dem kirchlichen Brötchengeber war unter anderem war die Rede. Nachdem das Arbeitsgericht die Kündigung im Juli 1999 für unwirksam erklärt hatte, legte die Kirchengemeinde Berufung gegen das Urteil ein. Doch damit wird sie nach einer vorläufigen Einschätzung des Landesarbeitsgerichts wohl wenig Erfolg haben.

Und dies liegt nicht daran, dass auch in der evangelischen Kirche Arbeit und Privatsphäre zwei verschiedene Paar Schuhe sein sollten, sondern an einer schnöden Formalie: Die Kirchenleitung hat bei der fristlosen Kündigung ihres Kantors schlicht außer Acht gelassen, daß dieser zu diesem Zeitpunkt Mitglied der Mitarbeitervertretung war und damit einen besonderen Kündigungsschutz besaß. Merkwürdigerweise blieb dieser Aspekt im ersten Prozess, wo über Beziehungsdinge gestritten wurde, unerwähnt.

Nun scheint die Lage für beide Seiten verfahren: Der Rechtsanwalt der St.-Magni-Gemeinde verkündete während der Verhandlung, dass für den entlassenen Kantor „der Zug abgefahren“ sei: „Auch wenn er gewinnt, muss ihm klar sein, dass er hier keine Zukunft mehr hat.“ Ihm seien in der Zwischenzeit außerdem mehrere halbe Stellen in anderen Kirchengemeinden angeboten worden, die er aber abgelehnt habe. Kristahn hingegen hat sich nach eigenen Angaben durch Vertretungsdienste über Wasser gehalten. Ihn erwartet bei einem für ihn positiven Urteil eine Lohnnachzahlung von über 30.000 Mark.

Da alles auf ein solches Urteil hindeutet, die Kirchengemeinde sich jedoch gegen eine Weiterbeschäftigung ihres Kantors sperrt, appellierte das Gericht an beide Parteien, bis zur Urteilsverkündung im April noch einmal über „Vergleichsmodalitäten“ zu verhandeln. Und wenn Kantor Kris-tahn sich dann doch wieder vor seine Orgel setzen sollte, könnte aus diesem schönen Plätzchen schnell ein Schleudersitz werden: schließlich seien - so hieß es im Verhandlungssaal - bei der derzeitigen Finanzsituation der Kirche durchaus betriebsbedingte Kündigungen möglich. hase