Abstraktes Fernsehen

■ Mit Farbe kann ein Maler viel anstellen. Barbara Claassen-Schmal beweist es

Mit 200 Kilogramm Farbe kann ein Maler einiges anstellen. Als vor drei Jahren der Wiener Künstler Andreas Reiter Raabe seine Farbbestände überprüfte, stellte er fest, dass sich im Laufe der Zeit eine solche Menge angesammelt hatte. Doch anstatt einen Gebrauch des Materials zu ersinnen, entschloss sich der Maler großzügig, den Farben selbst die Entscheidung über ihre Zukunft zu lassen. Wie sich die Farben entschieden haben, ist nun in der Galerie für Gegenwartskunst Barbara Claassen-Schmal zu sehen.

Freilich ist da zu erkennen, dass Reiter Raabe seinen Farben schon ein wenig Hilfestellung leisten musste: Runde, sich überlagernde Farbkleckse hat er auf Leinwand gegossen, manche Stellen blieben weiß. Die Farbflüssigkeiten sollten den Rest erledigen; die Entscheidungen darüber, wie weit sie sich ausbreiten, wohin sie fließen.

Die ersten Versuche der selbstbestimmten Arbeiten fielen auffällig bunt aus. Da wollte wohl noch keine Farbe zu kurz kommen. In den späteren Werken teilen sich dann wenige Farben brüderlich die Fläche. Dabei dominiert allerdings oft die jeweils zuletzt aufgegossene Farbe die anderen.

Auf den ersten Blick wirkt es, als habe es sich da jemand schön leicht gemacht. Farbe wild auf eine Leinwand zu gießen, das scheint schließlich nicht gerade eine der komplizierteren Techniken der bildenden Kunst zu sein. Und die Aussage des Künstlers, die dahintersteckende Arbeit sei ein Künstlergeheimnis, hat zunächst den Anschein einer billigen Ausrede. Dann aber erkennt man eine reizvolle Plastizität, die dem Bild je nach Lichteinfluss und Betrachtungswinkel einen anderen Ausdruck verleiht. Und Andreas Reiter Raabe rückt schließlich doch mit einigen Hinweisen auf die Arbeitstechnik heraus: So habe er zunächst durch Mischungen ein geeignetes Farbmaterial herstellen müssen, das die reflektierende Wirkung erziele. Lack reichte dafür nicht aus, denn der hätte kleinste Staubpartikel angezogen. Dann galt es, mehrere Schichten mit runden Feldern übereinander aufzugießen. Durch die Gießtechnik zieht die Flüssigkeit nicht in die Leinwand ein, sondern bleibt in ihrer Tropfenform, bis sie trocknet. Wird sie dann wieder übergossen, ist zwar die Farbe der unteren Schicht nicht mehr erkennbar, dafür aber die Form. Dadurch entsteht der plastische und reflektierende Charakter des „selbstorganisierten Prozesses“.

Wenn Raabes Werke aber intendieren sollen, sie hätten sich gewissermaßen selbst gemalt, wo ist dann die eigene Aussage? In der Tat, sagt Raabe, sei seine Arbeit weniger Malerei als vielmehr ein „Nachdenken über Malerei“. Die plastischen Farbkleckse der Bilder erinnern an das Flimmern in den Augen nach langem Fernsehen oder dem Blick in die Sonne. Dieses Flimmern sei schließlich nur ein Produkt der Vorstellung, so wie auch das perspektivische Betrachten der Bilder die eigene Vorstellungskraft beansprucht – ein interessanter Vergleich, der die alte philosophische Frage nach Schein und Wirklichkeit wieder aufwirft.

Es sind also gewissermaßen mediale Bilder, die sich da selbst gemalt haben: Standbilder, die je nach Blickwinkel und Lichteinfall zu bewegten Bildern werden. So gesehen ist Raabe der erste Produzent von abstrakten Fernsehern.

Johannes Bruggaier

Bis zum 30. März in der Galerie für Gegenwartskunst, Bleicherstraße 55Tel.: 70 21 39