Morgenmundgeruch oder Dein Kuss zieht Fäden ■ Von Björn Blaschke

Wer kennt das nicht: aufwachen und noch dreißig bis vierzig Traumfetzen in der Matschrübe haben. Meistens flattern diese Bilder spätestens von hinnen, sobald man den linken Fuß auf den Bettvorleger stellt. Doch neulich, ich stand längst vor dem Alibert, wollte sich eines, das auch noch ganz und gar eklig war, überhaupt nicht aus meinem Kopf verflüchtigen: Ein riesiges, überdimensioniertes Zäpfchen stand da mitten in meinem Hirn und ging nicht weg! Und auf das Zäpfchen war auch noch ein Foto von Angela Merkel gedruckt – mit folgender Bildunterschrift: Merz-Spezial-Dragée – für abbröckelnde Fingernägel, spröde Lippen und trockene Haut. Dazu ertönte eine einlullend werbende Frauenstimme aus dem Off, die permanent repetierte „Merz, das Mittel, das der CDU hilft; Merz, das Mittel, das ... .“ Das war wahrlich eklig! So eklig wie beispielsweise – entschuldigen Sie den schiefen Vergleich – jene parteiübergreifende Forderung, Johannes Rau nicht länger mit der West-LB-Flugaffäre in Verbindung zu bringen, da sonst das Amt des Bundespräsidenten „beschmutzt“ werde. Diese Forderung wurde von unzähligen – ebenfalls ekligen – Hofberichterstattern eins zu eins wiedergegeben, ganz als ob Rau sein derzeitiges Amt nicht selbst am meisten „beschmutzte“.

Doch ich schweife von meinen morgendlichen Rest-Albträumen im Badezimmer ab: Das spezielle Merz-Spezial-Dragée in meinem Kopf also blieb nicht allein! Plötzlich tauchte wie aus dem Nichts meine alte Mathelehrerin auf, nahm das Zäpfchen in den Arm und erklärte, dass sie eine „Vertrauenslehrerin“ sei. Als könnte es überhaupt „Vertrauens-Lehrer“ geben, ist doch der Lehrer an sich der natürliche Feind des Menschen. „Vertrauens-Lehrer“ aber – das klingt geradezu wie „zahmer Barracuda“ oder „tapferes Henkerlein“. Und dass „Vertrauens“-Lehrer auch ganz normal-gemeingefährliche Lehrer sind, bewies diese vorgebliche „Vertrauens“-Lehrerin umgehend: Sie führte das Merz-Spezial-Dragée auf eine Bühne, tanzte mit ihm drei Run-den und knutschte es schließlich heftig ab. Dann aber pädagogi-sierte sie abrupt: „Ich mag dich gern, Tanznote: ‚gut‘, aber: Notenabzug! Denn: Morgenmundgeruch – dein Kuss zieht Fäden.“ Vertraut hatte das arme Merz-Spezial-Dragée der „Vertrauens“-Lehrerin und wurde so bitter enttäuscht, träumte mich, während ich meine Zähne weißte.

Fieser ist’s eigentlich nur noch, wenn Großmuttern sich vor einem aufbaut, ein nach Mottenkugeln stinkendes, drei Jahre altes Taschentuch aus den Tiefen ihres Mantels zieht, selbiges mit einem zweimaligen „Pfit, Pfit“ vollspeichelt, „komma zu Omma“ grunzt und mit dem Lappen den Mundwinkel des „süßen Enkelchens“ vom Eise befreit ... Und da ich gerade beim „Befreien“ bin: Nicht dass Sie etwa denken, meine schrecklichen Rest-Albträume an jenem Morgen seien ebenfalls durch reinigenden großmütterlichen Speichel wie weggeätzt gewesen. Nein, ganz falsch. Sie waren weg, als ich das Klo betrat. Denn ich beherrsche etwas, das Sie auch unbedingt erlernen sollten, wenn es Sie nach tiefer morgendlicher Ruhe dürstet; ein Fach, das Sie viele Jahre intensiv studieren müssen, bis Sie die Meisterschaft erlangen: Zen – oder die Kunst des Bogenpissens.