Kasparow fehlen Gegner

Beim Schachturnier der Besten in Linares beklagt Garri Kasparow den fehlenden Biss der Konkurrenten ■ Von Hartmut Metz

Das Papiertiger-Sextettaus Myanmar reißt munterein schachliches Opferlammnach dem anderen

Berlin (taz) – Im Wimbledon des Schach werden die Top-Großmeister zum letzten Mal unter sich sein. Zumindest wenn der Spanier Luis Rentero auch im nächsten Jahr die in der Weltrangliste führenden Spieler nach Linares holt. Unter den ersten 100 sind nämlich plötzlich sechs Spieler aus Myanmar aufgetaucht, und wenn sich deren rasanter Aufstieg fortsetzt, wird selbst das Treffen der Weltelite in Spaniens Süden nicht an ihnen vorbeikommen.

Allerdings wuchs das frühere Birma keineswegs dank außergewöhnlicher Talente zur drittstärksten Schachnation hinter Russland und England heran. Es war vielmehr pure Inzucht, die in Hinterindien sechs Papiertiger hevorbrachte. 1997 besaß das an China grenzende Land gerade einmal vier Spieler in der Weltrangliste. Dann aber nutzten die Asiaten die größte Schwäche des nach dem Ungarn Arpad Elo benannten Ratingsystems, mit dem die Schach-Weltrangliste erstellt wird: Verbessern kann sich ein Spieler nur dadurch, dass er Gegnern Punkte wegnimmt, aber Weltranglistenspieler verlieren nichts bei Niederlagen gegen Neueinsteiger. In Birma kam dadurch eine Inflation in Gang, die mittlerweile den Weltverband Fide auf den Plan rief. Der Fundus von vier Spielern genügte, um die Zahl der Elo-Träger auf jetzt 202 zu katapultieren.

Die „Gründerväter“ profitierten von den internen Duellen, weil sie den Neulingen die gegönnten Elo-Punkte gleich wieder mit Zins und Zinseszins abluchsten. Der Spieler Zaw Win Lay zum Beispiel schoss dadurch von 2.230 Elo, was in etwa einem deutschen Oberligaspieler (3. Klasse) entspricht, auf 2.633. Das macht, ohne jemals gegen einen Großmeister gepunktet zu haben, Platz 44 auf dem Globus. Dan Oo Thein (2.630) steht als 47. kaum schlechter da. Reißt das Papiertiger-Sextett weiter munter ein schachliches Opferlamm nach dem anderen, endet der Höhenflug in der Juli-Weltrangliste mit dem ersten birmesischen Spieler in den Top Ten.

Einstweilen sind der Weltranglistenerste Garri Kasparow, der Inder Viswanathan Anand (2), Wladimir Kramnik (3), Alexej Schirow (4) und Peter Leko (6) in Linares aber noch unter sich. Nur weil Alexander Morosewitsch sich mit Rentero nicht einig wurde, rutschte sein russischer Landsmann Alexander Chalifman als Ersatzmann ins Elitefeld. Der Nummer 31 half es, dass sie letztes Jahr in Las Vegas die K.o.-WM der Fide gewann. Offizieller Weltmeister hin oder her, Chalifman gilt als willkommenes Schlachtopfer, auf das sich alle stürzen. In Runde eins durfte sich schon Wladimir Kramnik bedienen. Besonders heiß wird Kasparow auf den Fide-Champion sein, um in den beiden Partien zu beweisen, dass allein er der „wahre Weltmeister“ ist – auch wenn sich der Moskauer zum letzten Mal 1995 zu einem WM-Kampf (gegen Anand) stellte.

Wie mit Chalifman in Linares umgesprungen werden dürfte, demonstrierte der 19-jährige Leko bereits im Januar bei seinem 4,5:1,5-Kantersieg über den Köln-Porzer Bundesligaspieler. Es klingt eher wie vornehme Zurückhaltung, wenn der junge Ungar warnt: „Wenn alle denken, dass Alexander leicht zu schlagen ist, können sie sich sehr schnell täuschen.“ Eher scheinen Lekos Worte über das Schlusslicht für Chalifman bestimmt. „Irgendeiner muss Letzter werden. Dieser Platz ist in Linares keine Schande.“

Deutlicher bezieht der haushohe Favorit Kasparow, der in Runde eins den Wahlspanier Schirow bezwang, Stellung. Anand, Kramnik und Leko seien die Besten – doch ohne Chance auf „Gold“. Die 1999 von Turniersieg zu Turniersieg eilende Koryphäe beklagte nach seinem Erfolg in Wijk aan Zee (Niederlande) Anands „Lustlosigkeit“, Kramniks „fehlende Energie“ und Lekos zu „vorsichtiges Spiel“. Kurzum, dem Trio mangele es an seinem bedingungslosen Einsatzwillen im Kampf um den vollen Punkt. In der Tat remisieren sie zu viel untereinander, beispielsweise zum Auftakt in Linares der seit Mai 1999 ungeschlagene Leko gegen Anand.

Unter diesen Umständen findet Garri Kasparow für das von ihm gewünschte „spannende WM-Match“ wohl nur Sponsoren, wenn er den Rat seines Managers befolgt. Owen Williams hatte ihm geraten, doch mal einen anderen gewinnen zu lassen.