Diven, Paschas und viel interaktive Schaumschlägerei

„Bei Anruf Soap“ muss von der Kreativität der Hörer leben (DLR, täglich ab 14.05 Uhr)

Stocksteif gekleidet und aschfahlgesichtig, gelacht wird im Keller – so sind sie, die zumeist etwas ältlichen Hörer des DeutschlandRadio Berlin. Zumindest dem Klischee nach. Doch das verstaubte Image soll verändert werden.

Deshalb startet heute und als spezielle „Offerte an junges Publikum“, so DRB-Kulturchef Konrad Franke, das neue Format „Bei Anruf Soap“. Die Geschichte der täglichen Seifenoper können Hörer interaktiv beeinflussen und so ihr „psychologisches Tief am Nachmittag“ überwinden. Per Telefon, Fax oder E-Mail bestimmen sie den Verlauf – nicht TED, sondern der einzelne Hörer entscheidet.

Telenovellen werden ewig weitergedreht. „Bei Anruf Soap“ nicht, jede Geschichte beginnt am Montag und endet am Freitag. Quer durch alle Groschenromanmotive gibt es jede Woche ein anderes Thema, ein neues Hörspiel. Egal ob Krimi, Schnulze, Western oder Sciencefiction – vorgegeben sind nur die Koordinaten und die stereotypen Soap-Charaktere: der Pechvogel, die Rebellin, der Bewahrer, die Diva und der Pascha müssen abgewandelt in jeder Episode auftauchen.

Und so läuft’s: Autor Armin Tenner, gesprochen von Thomas Chemnitz, erhält jeden Montag um exakt 14.05 Uhr den Anruf eines imaginären Produzenten, der barschen Tones eine neue Story verlangt. Und immer ist es auch die Story eines Autors, dem das Erzählen nicht so leicht fällt. An entscheidenden Stellen muss er die Hörer auffordern, ihre Vorschläge zu unterbreiten: Wie soll das weitergehen? Die Hörer bestimmen, die Sprecher improvisieren live.

So weiß eigentlich keiner, wohin sich die „Familientragödie aus den amerikanischen Südstaaten“ entwickelt, mit der die sechs Schauspieler heute an den Start gehen. Das Ehepaar Marty (der Pascha) und Catherine (die Diva) streitet sich. Doch worüber? Catherine hat außerdem einen schwer reichen Vater, so viel ist vorgegeben. Bei unvermeidlichen Familientreffen müssen die Hörer auch entscheiden, womit er seine Millionen gemacht hat.

Mit den schnellen Umstellungen sind die Schauspieler bestens vertraut, denn neben Fernsehen, Bühne und Synchronsprecherei hat sie auch Improvisationsthater à la „Theatersport“ gestählt. Zwei konkurrierende Teams müssen dabei binnen Sekunden auf der Bühne Ideen auf Zuruf umsetzen. Im Radio können dazu, zwecks „realistischer Raum-Etablierung“, per Band auch Töne und Geräusche eingespielt werden.

Die Berliner Firma Raumstation produziert die „Soap“ für DeutschlandRadio. Mit ähnlich interaktiven Sendungen wie dem „Ohrenzeugen“ auf der Jugendwelle Fritz (ORB) oder dem „TelefonHörerMassaker“ bei EinsLive (WDR) ist sie bereits erfolgreich im Geschäft. Eine normale Radio-Soap erschien den Produzenten jedoch zu fade. „Wir wollen an die Tradition des Live-Hörspiels der 30er-Jahre anknüpfen“, sagt Ragnild Sörensen von Raumstation.

„Bei Anruf Soap“ findet natürlich nicht nur im Radio statt. Die Hörer können die Sendung auch live im Internet (www.dradio.de/soap) verfolgen und die Schauspieler per Webcam beobachten. Und wenn selbst die ehrwürdige FAZ auf das Pferd „Bei Anruf Soap“ setzt und deshalb flankierend auf den Berlinseiten die Handlung am Folgetag per Comic-Strip illustrieren will, fehlt eigentlich nur noch die Fernsehversion: Am Ende bliebe höchstens die Frage, wieso die Sendung Soap heißt. „ ,Bei Anruf neues Sendeformat‘ klingt etwas zu kompliziert“, lautet Sörensens Antwort.Jan Rosenkranz