„Das Geschehen mit den Juden“

Fast 40 Jahre nach dem Prozess gegen den NS-Verbrecher Eichmann gibt Israel dessen Memoiren frei. Sie sind, wie zu erwarten, banal und böse ■ Aus Jerusalem Susanne Knaul

„Mein alter Herr selbst hatte unter anderem auch Juden zu Freunden. Mich jedoch zog es zu den Göttern.“

„Ich werde den Völkermord am Judentum schildern, wie er geschah, und gebe dazu meine Gedanken von gestern und heute“, so schreibt Adolf Eichmann in der Einleitung zu seinen Memoiren „Die Götzen“. „Einband und Schutzumschlag möge einfarbig gehalten sein“, setzt er als Anweisung für die spätere Veröffentlichung hinzu, sowie „mit klarer linienschöner Schrift“ versehen.

Fast 40 Jahre lang blieben die Aufzeichnungen Adolf Eichmanns, dem 1961 in Israel der Prozess gemacht wurde, der Öffentlichkeit vorenthalten. Israels damaliger Premierminister David Ben-Gurion entschied nach Eichmanns Hinrichtung, das Manuskript für 15 Jahre unter Verschluss zu halten. Anschließend habe sich niemand mehr interessiert, so Eviatar Friesel, Chef des israelischen Staatsarchivs, bei dem die Akte lag. Im vergangenen August beantragte die Familie Eichmanns die Überstellung der Memoiren, und das Staatsarchiv begann mit der Abschrift. Gestern wurde sie freigegeben.

Das Manuskript bringt „nichts, was man nicht schon den Prozessakten entnehmen könnte“, so kommentiert Prof. Jehuda Bauer von der Holocaustgedenkstätte Jad Vashem die Memoiren von „Hitlers Mann für die Endlösung der Judenfrage“. Wie schon in seinem Prozess verfolge Eichmann das Ziel, sich selbst als „kleine Schraube im System“ darzustellen. Seine Ausführungen seien indes „lügnerisch“. Er sei ein „furchtbarer Antisemit“ gewesen und habe in einem Interview wenige Jahre vor seiner Entführung aus Argentinien öffentlich bedauert, dass nicht mehr Juden vernichtet werden konnten.

Eichmann weist diesen Vorwurf in seiner Autobiografie weit von sich. Das Wort „Versailles“ und der „Dolchstoß, welcher der deutschen Armee zuteil ward“, seien es gewesen, die sein „Blut in Wallung“ gerieten ließen. Er räumt ein, dass er „den Judenprogrammpunkt wohl gekannt habe, doch niemals Antisemit war“.

Langwierig berichtet Eichmann über angeheiratete jüdische Verwandte, mit denen ihn gar ein liebevolles Verhältnis verbunden habe. „Mein alter Herr selbst hatte u.a. auch Juden zu Freunden.“ Den jungen Eichmann jedoch „zog es zu den Göttern. Und ich diente ihnen.“

Obschon Eichmann „der Judenprogrammpunkt“ erklärtermaßen „nicht im leisesten interessierte“, organisierte er bereits innerhalb seiner ersten großen Aufträge im Namen der Partei die Auswanderung der Juden zunächst aus Wien und später aus Prag. „Ich vertrat den Standpunkt, der ,arme‘ Jude will genau so gerne und so schnell auswandern wie der ,reiche‘ Jude“, schreibt er und kritisiert die Politik der Führung, die die Auswanderung durch hohe finanzielle Auflagen erschwerte.

Im November 1938 habe sich ihm endgültig offenbart, dass sich seine „Götter offensichtlich zu Götzen wandelten“. Die Befehle, jüdische Geschäfte zu zertrümmern und tausende Juden einzusperren, seien „nicht nur unsinning, sondern verbrecherisch“ gewesen.

Unterbrochen mal von Landschaftsbeschreibungen und Ausflügen in Bierkneipen – „die nötige Bettschwere lupfte mich dann in die Federn“ –, mal weinerlichen Ausführungen über die Arbeit am Schreibtisch, berichtet Eichmann über Reisen an die Orte des Grauens. Im Januar 1942 schickte ihn Gestapo-Chef Müller nach Kulm bei Posen mit dem Auftrag, Bericht über die dortige „Durchführung der Tötung von Juden“ zu erstatten. „Dies war das Grauen schlechtweg“, schrieb Eichmann und begann umgehend nach einer Rechtfertigung für sich selbst zu suchen. „Zu einer solchen Gewaltlösung aber hatte ich von mir aus wahrhaftig nichts dazu beigetragen und ich konnte meine Hände wie weiland Pontius Pilatus in Unschuld waschen.“

Er sei niemals ein Antisemit gewesen, schreibt Eichmann und gibt zu, dass „das Geschehen mit den Juden, welches die damalige deutsche Reichsregierung während der Jahre des letzten großen Krieges ins Werk setzte, das kapitalste Verbrechen in der Menschheitsgeschichte“ darstelle.

Die Veröffentlichung der Memoiren mit fast 40-jähriger Verspätung mag die Debatte über die Theorie, die Hannah Arendt bereits kurz nach Ablauf des Prozesses in ihrem Buch über die „Banalität des Bösen“ entwarf, neu aufleben lassen. Darin hatte sie die Strategie Eichmanns als insofern glaubwürdig aufgefasst, dass er „nicht nur Befehlen gehorcht habe“, sondern auch Gesetze befolgte. „Das Beunruhigende an der Person Eichmanns war doch gerade, dass er war wie viele und dass diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschrekkend normal waren.“