Hiebe statt Liebe

■ Kleine Stinker für die einen, Urlaubsgrund für die anderen: Die Stinte sind da / Fischer legen tausende davon auf die Kiemen

„Der Stint“, sagt der Mann am Fluss, „der Stint ist gut“. Mit müdem Schwung wirft er sein Senknetz in die Weser, geht einige Meter stromab, zieht es hoch, geht wieder aufwärts, lässt es in die Tiefe. Stundenlang, hin und her. Seine Plastikhose raschelt. Die Fische, die er fängt, schlägt er am Ufergeländer ab. Sie riechen nach frischen Gurken: Der Stint ist da.

Und mit ihm die Angler. Wenn Osmerus eperlanus – der europäische Stint – im Frühjahr zum Laichen in die Weser zieht, dann stehen sie an der Wilhelm-Kaisen-Brücke und holen die schmalbrüstigen Fischchen zu tausenden aus dem großen, braunen Fluss. Der staatliche Fischereischein und ein „Senkschein“ für 20 Mark genügen, dazu das Netz samt Metallgestell (60 Mark), eine griffiges Seil und – ganz wichtig – der Plastikeimer (kostet gar nichts).

Waldemar, 48 Jahre alt, schwarzer PVC-Overall, Brille und Zähne aus Gold, ist einer der drei Fischer, die sich an diesem Dienstag gegen das Geländer der Kaimauer lehnen. „Für meine Tochter und 'nen biss-chen für mich“, hole er die Stinte aus dem Fluss, erzählt der Mann mit der Mütze, Marke „Sportfischer“. Der Kollege nebenan, der die Stinte „gut“ findet, hat ihn zum Fischen überredet. Waldemar, der vor drei Jahren aus Omsk nach Deutschland gekommen ist, hat so einiges geschafft in seinem Leben. Einen Traktor gebaut zum Beispiel. Am 1. März ist er arbeitslos geworden. „Jetzt muss ich angeln“, sagt er, „dann bin ich beschäftigt“.

Dass der Stint - ein Verwandter der guten alten Forelle - mancherorts „Stinklachs“ geschimpft und auch schon mal zu Tran, Tierfutter oder Dünger verarbeitet wird, ficht diese Fischer nicht an. Schließlich ignoriert auch die bremische Gas-tronomie den Arme-Leute-Fisch mitnichten; und ist er erst einmal mit dezentem Genickschlag um die Ecke gebracht, lässt sich allerlei mit ihm anstellen.

„Noch besser wie Hering“, sagt Angler Nummer Eins, der die Stinte nicht nur räuchert oder brät, sondern auch zu praktischen Frikadellen knetet. Er hat sich eine Woche Stint-Urlaub genommen und fischt unentwegt. Was im Netz ist - mal ein einzelnes Fischchen, mal eine ganze Clique - kommt zu den bereits entleibten Kollegen im Eimer. So um die hundert sind schon drin, aber der Mann fischt auf Vorrat.

Warum nur lassen sich die Stinte derart willfährig aufs Trockene befördern? Sind es die Lemminge der Nordsee? Schwarzfischer Dincer, 14, weiß Rat: Eigentlich, sagt er, sind die Stinte ja schlau: Denn wenn sie nicht so nah am Ufer entlang schwimmen würden, „dann werden sie von den großen Fischen da draußen gefressen.“ hase