Aufbruch in die Glitzerwelt

Es war schon traurig: Am Dienstag lud das traditionelle Intellektuellenkino Arsenal zum letzten Mal in die Welserstraße. Im Juni geht es am Potsdamer Platz weiter. Für die Betreiber ist Film noch eine „Waffe“ ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Am Dienstagabend war es ziemlich voll im „Arsenal“. Neben den bereits belegten Sitzen und auch im Vorraum drängten sich festlich gekleidete Menschen, um Abschied zu nehmen. Abschied von dem unumstritten anspruchsvollsten Kino Berlins, das im Windschatten von 68 im Jahr 1970 seinen Betrieb aufnahm und sich nach dem Revolutionsfilm aus dem Jahre 1929 von Alexander Dowschenko nannte. „Wir waren damals eben militant“, und „Für uns ist Film auch eine Waffe“, sagt Erika Gregor, die mit ihrem Mann Ulrich und anderen das Kinoprogramm gestaltete. Sie wirkt maßgeblich im Trägerverein, den „Freunden der Deutschen Kinemathek“ mit und ist für die Auswahl und Organisation des „Internationalen Forums des Jungen Films“ zuständig.

Das „Internationale Forum des Jungen Films“, das nach dem Abbruch der Berliner Filmfestspiele 1971 als eine Art linksintellektuelle Spielwiese ins Leben gerufen wurde, ist wiederum die interessantere, sowohl dem experimentellen, politischen, dokumentarischen, intellektuellem, als auch dem Hongkongfilm verpflichtete Festivalsektion, deren eigentliches Zentrum im Schöneberger „Arsenal“ lag. Dort wurden auch die Forumsfilme archiviert und immer wieder zur Aufführung gebracht.

Die „Freunde der Deutschen Kinemathek“, „Arsenal“ und „Forum“ – dies alles wurde vom „Matri-Patriarchat“ der Gregors zusammengehalten, sagt Heiner Roß. Er war erster Sekretär des ersten Frauenfilmseminars, bis 1979 Geschäftsführer des „Internationalen Forums“ und leitet zur Zeit die „Kinemathek Hamburg“. Roß vergißt nicht zu erwähnen, dass das „Arsenal“ kurzzeitig von der Roten Armee als Pferdestall genutzt worden war, dass man es in der Anfangszeit noch mit Kohlen beheizen musste und dass sich die nur durch einen Vorhang voneinander getrennten Toiletten noch im Kinosaal befunden hatten. „In dem einen Winkel hockte das Damenklo, im anderen das Herrenklo.“

Nach 30.000 Vorführungen ist also Schluss und das Arsenal zieht an den Potsdamer Platz ins neue Berliner Filmhaus, in dem auch die Deutsche Kinemathek samt Bibliothek, die Film- und Fernsehakademie (dffb) und das Filmmuseum untergebracht sein werden. Zwar zieht man auf die weniger böse, die Sony-Seite des bislang ziemlich seelenlosen Retortenministadtteils, dennoch sind viele Filmfreunde eher skeptisch. Andererseits hat sich die Umgebung, in dem das Arsenal einmal anfing, auch sehr verändert. Studentische Wohngemeinschaften gibt es in der Gegend um die Welserstraße kaum noch. Verkehrstechnisch liegt das neue Arsenal, das im Juni eröffnet werden wird, günstiger.

Zurück zum Abend, dem Ulrich Gregor „kein tragisches Flair“ geben wollte, der „kein Abend der Nostalgie“ werden sollte, sondern „Übergang zu etwas Neuem“, zu einer „Ära der Hoffnung, der Möglichkeiten und auch der Verbesserung“. Das neue Arsenal bekommt zwei Säle, bessere Technik und überhaupt mehr Platz.

Die Zeit allerdings, in der Film eine Waffe im Kampf um Emanzipation sein sollte, in der Kino einen kämpferisch-intellektuellen Klang hatte und sich Stadtguerillagruppen nach Filmen benannten (wie Kunzelmanns „Viva Maria“ nach dem Louis-Malle-Film), wurde mit dem Ende des Schöneberger Arsenals endgültig symbolisch begraben.

Das weiß Ulrich Gregor und strahlt dann doch eine gewisse Melancholie aus, als er fast trotzig den Satz wiederholt: „Wir werden dem Potsdamer Platz ein menschliches Antlitz geben.“

Noch einmal ein bisschen Geschichte: 1912 eröffneten hier die „Bayreuther Lichtspiele“, 1950, in der Blütezeit des deutschen Films, hatte man 4.000 Zuschauer am Tag. Ohne jede staatliche Unterstüzung begann am 3. 1. 70 die Geschichte des Arsenals. „Jahrelang fand die Pionierarbeit der ‚Freunde der deutschen Kinemathek‘ für die Entwicklung einer alternativen Filmkultur beim Berliner Verfassungsschutz weit mehr Interesse als bei der an sich zuständigen Kulturverwaltung. Von Förderung zu sprechen, wäre ein Euphemismus gewesen, die Bezeichnung Unterfinanzierung reinste Schönfärberei“, schreibt Gerhard Schoenberner, Co-Vorsitzender der „Freunde der Deutschen Kinemathek“. Man hatte nur so erfolgreich sein können, weil man die „Realität verkannte“. Unzählige machten sich hier auch mit den Klassikern der Filmgeschichte vertraut.

Schluchz.

Ein letztes Mal werden Filme und Filmausschnitte gezeigt. Russische und amerikanische Avantgarde, Wertows „Mann mit der Kamera“ erinnerte an die ganz große Pionierzeit des russischen Films. Im Dunkeln freuen sich die Augen eines kleinen Kindes, das freudig „Auto“ rief. Mit „Two Tars“, einem der schönsten und lustigsten Potlatschfilme von Laurel & Hardy, erinnerte man an Alf Bold, der das Arsenalprogramm jahrelang maßgeblich geprägt hatte. Auf seiner Totenfeier wurde der Film das letzte Mal im Arsenal gezeigt. „Ging es um den Experimentalfilm, so kleidete er sich noch sorgfältiger als sonst, um die richtige Mischung aus Nonchalance und Präzision zu erreichen, aber auch, um jeden Tag anders auszusehen“, schrieb die Experimentalfilmerin Christine Noll Brinckmann über Bold.

In einem Ausschnitt von Helma Sander-Brahms sieht man Frauen Anfang der 70er im Arsenal über Emanzipation diskutieren; Heiner Roß hat aus Hamburg den wunderschönen russischen Film „Das Märchen der Märchen“ von Jurigk Norstein mitgebracht, eine Abgeordnete des Moskauer Filmmuseums überbrachte Grüße und einen guten Hausgeist. Jemand erzählt von den kleinen, arsenaltypischen Geräuschen, die man im neuen Kino über Band einspielen könnte.

„Kein Arsenal-Abend ist komplett ohne Willy Sommerfeldt“, sagt Herr Gregor, dann begleitet der legendäre Stummfilmpianist einen Lubitsch-Film. Noch einmal sieht man den kämpferischen Kurzfilm „NOW“ (1967) des Kubaners Santiago Alvarez. Dann stürzen sich kuschlige Lemminge in einem amerikanischen Experimentalfilm hohe Klippen hinab, dann singt man gemeinsam lachend, vom Herrn auf der Leinwand dirigiert: „Der Hahn ist tot“.

Draußen liegt ein Gästebuch, das wie ein Kondolenzbuch wirkte. Irgendwann, als die meisten schon gegangen waren, beugte sich Ulrich Gregor über den Kassentisch und roch an den Abschiedsblumen. Viel Glück wünscht man dem neuen Arsenal!