Die innere Sicherheit und verunsicherte Politiker

Seit den jüngsten Anschlägen sind die Autonomen wieder Thema. Auch wenn es dem Image der Hauptstadt schadet, kommt die vermeintliche Gefahr manchen entgegen

Es war nur Michael Preetz, aber es hätte auch Bundeskanzler Gerhard Schröder sein können. Als Unbekannte Anfang Februar die Scheiben des „Maxwell“ einwarfen, saß der Hertha-Torjäger gerade im hinteren Teil des Nobelrestaurants.

Er blieb, wie die anderen Gäste auch, unverletzt, doch die Täter hatten ihr Ziel erreicht. In Berlin spricht man wieder über die Autonomen, vor allem aber über die Sicherheit von Politikern. Doch hat die „Hauptstadt Kreuzberg“, vor der Entscheidung für Berlin als Regierungssitz vor allem in Bayern gerne beschworen, den politischen Alltag in Berlin tatsächlich eingeholt?

Seit dem Anschlag auf das „Maxwell“ verging kaum ein Tag, an dem nicht in den Blättern der Hauptstadt vom „Aufruhr im Untergrund“ oder dem „Wiederauferstehen der linken Gewalt“ die Rede war. Selten stand die mediale Aufmerksamkeit für militante Aktionen in einem solchen Verhältnis zum Aufwand wie in diesen Wochen. Und dies, obwohl sich die Autonomen nach eigenen Angaben „in einer mindestens so großen Akzeptanzfrage befinden wie die CDU“.

Doch es gab auch ungewöhnliche Töne. Berlins Staatsschutzchef Peter Haeberer etwa übte sich sich in Motivforschung. Bei dem Anschlag auf das in einer restaurierten Brauerei in einem Altbauquartier des Bezirks Mitte untergebrachten Restaurant habe es sich nicht um eine Kampagne gegen Bonner und Reiche gehandelt. Vielmehr, dozierte Haeberer ganz im linken Jargon der Berliner Szene, handele es sich um eine Aktion gegen die Umstrukturierung des Kiezes.

Diese feinen Unterschiede in der höchstoffiziellen Bewertung autonomen Handelns mögen in der Szene selbst für süffisantens Lächeln sorgen. Aus der Sicht seiner Behörde macht Haeberers Unterschied aber einen Sinn. Schließlich gilt es genau jene Gemüter zu beruhigen, die ohnehin mit einem ganzen Bündel von Vorbehalten nach Berlin gekommen sind und nun zum Spielball zwischen Staatsschützern und Staatsgegnern zu werden drohen.

Die linksradikale Szene der Hauptstadt kann dabei immerhin für sich reklamieren, als erste das sensible Terrain der inneren Unsicherheit entdeckt zu haben. Schon im Vorfeld der Berliner Millenniumsfeiern wurden in Prenzlauer Berg, Mitte, Schöneberg und Wilmersdorf insgesamt neun „Nobelkarossen“ abgefackelt. Bereits im September war unter dem Daimler eines Diplomaten in Kreuzberg ein Brandsatz gefunden worden, der allerdings nicht zündete. Im dazugehörigen Bekennerschreiben hieß es: „Herzlich willkommen, ihr Bonner Mistkäfer“.

Als Erstes reagierte am 18. Januar das Bundeskriminalamt. In einem Schreiben an die Bundestagsverwaltung warnten die Antiterrorismusexperten vor Anschlägen aus der Autonomen- wie der Neonazi-Szene. Zwar versuchte BKA-Sprecher Jürgen Stoltenom glauben zu machen, dass es sich bei dem Schreiben um eine bloße Routineangelegenheit gehandelt habe. Doch die Empfehlung an die Bundestagsabgeordneten, Privat- und Dienstfahrzeuge „möglichst nicht unbeaufsichtigt und insbesondere nachts nicht im öffentlichen Straßenraum abzustellen“, hat viele Volksvertreter nachhaltig verunsichert.

Die linksradikale Szene der Hauptstadt ist darüber nicht unglücklich, steht sie doch fast unverhofft wieder im Rampenlicht des öffentlichen Interesses. An einen neuerlichen Frühling der Autonomen denkt freilich keiner. „Anschläge“, sagt ein altgedienter Aktivist, der seinen Namen nicht nennen mag, „hat es auch in den vergangenen Jahren gegeben, nur hat das da kaum einen interessiert. Nun aber sind die Bonner hier und alles schreit Zeter und Mordio.“

Für den Altaktivisten spielt sich derzeit bloß ein Generationenwechsel in der Szene ab. Während die Alten sich mehr in der Solidarität für die verhafteten mutmaßlichen Mitglieder der „Revolutionären Zellen“ engagierten, würden die Jüngeren etwas mehr in den Vordergrund drängen. Eine breite Basis wie in den Achtzigerjahren gebe es allerdings nicht mehr. „Es ist eher ein virtueller Kampf.“

Berlins Innensenator Eckart Werthebach (CDU) müsste es eigentlich wissen. Erst vor kurzem hat seine Behörde eine Mitteilung vorgelegt, derzufolge die Zahl der linken Anschläge im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen ist. Anders als sein Staatsschutzchef Peter Haeberer hat Werthebach in den vergangenen Tagen die Stimmung aber angeheizt und die Antifaschistische Aktion Berlin, den Veranstalter der traditionellen „revolutionären 1. Mai-Demonstration“, unter den Generalverdacht des Terrorismus gestellt.

Insider vermuten hinter Werthebachs Kampfansage allerdings einen Machtkampf zwischen den Berliner und den ehemals Bonner Sicherheitsbehörden. Schließlich geht es am neuen Regierungssitz nicht nur um die innere Sicherheit, sondern auch um Geld und um Einfluss. Und da konkurriert der Staatsschutz neuerdings auch mit der ehemaligen Sicherungsgruppe Bonn des Bundeskriminalamtes. „Das ist“, sagt ein Beobachter, „wie bei Versicherungsverhandlungen. Brennt in der Nachbarschaft erst mal eine Scheune, bekommt der Versicherer den Zuschlag etwas schneller.“

Im Ringen um die Sicherheit der Hauptstadt dürfte sich Werthebach mit dem Einschwenken auf den Kurs des BKA allerdings keinen Gefallen getan haben. Bislang war der 1. Mai für die Berliner Szene eher ein lieb gewordenes Ritual, eine Art Love Parade mit Steineschmeißen, der der politische Gegner beinahe abhanden gekommen wäre.

Seitdem die „Sicherheit der Bonner“ freilich zum Berliner Staatsthema gemacht wurde, ist auch in den Kreuzberger Wohngemeinschaften der Sportsgeist wieder erwacht. Schließlich wissen auch die autonomen Recken, dass der Staatsapparat diesen zum Symbol gewordenen Kampf nur verlieren kann. Randale wäre schließlich ebenso schlecht für das Image der Hauptstadt wie ein Belagerungszustand, den es zuletzt Ende der Achtziger gegeben hatte.

Die weniger marktschreierischen Stimmen bleiben in Berlin derzeit ungehört: Michael Preetz zum Beispiel war vom Anschlag auf das Maxwell ebenso wenig beeindruckt wie der Sicherheitsbeauftragte der FDP, Jörg van Essen. Der nämlich sagte: „Niemand ist beunruhigt.“ Schließlich gehörten kleine Anschläge zu einer Großstadt. Nur war Bonn eben eine Provinzstadt, das ist der Unterschied.

Uwe Rada