Wenn der Rippenbruch kein Unfall war

■ Ein neuer Leitfaden der Sozialbehörde soll ÄrztInnen helfen, Fälle von Kindesmisshandlung zu erkennen und einzugreifen

Kindesmisshandlung ist der Schlüssel zur Gewalt in der Gesellschaft: Rund die Hälfte aller GewalttäterInnen, so gestern Sozialsenatorin Karin Roth (SPD), wurde selbst als Kind gequält, körperlich, psychisch, sexuell: „Sie sprechen nicht darüber, sondern schlagen selbst zu.“ Um frühzeitig die Miss-handlung eines Kindes zu erkennen und einschreiten zu können, veröffentlichte die Sozialbehörde gestern den Leitfaden „Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“, der an niedergelassene ÄrztInnen und Krankenhäuser verteilt wird.

In der Broschüre erfahren ÄrztInnen zum einen, an welchen Symptomen sie feststellen können, dass ein junger Patient Gewalt erlebte: Wann etwa Verbrennungen von eigener Ungeschicklichkeit, wann von gewalttätiger Einwirkung herrühren. Die Kinderärztin Hannelore Heuchert betont jedoch, dass die Diagnose bei typischen Verletzungen wie etwa Rippenbrüchen vergleichsweise einfach ist.

Bei einem großen Teil der Kinder seien aber auch keine Spuren sichtbar: Wer psychsich misshandelt wird, zeigt unter Umständen Verhaltensauffälligkeiten, aber keine äußerlichen Verletzungen. Viele Wunden wiederum seien nicht eindeutig zu erklären. Heuchert beschrieb den Fall eines einjährigen Kindes, bei dem sie aufgrund zahlreicher Hämatome zunächst Probleme bei der Blutgerinnung vermutete, dann den Verdacht auf die Bluterkrankheit hegte. In einem dritten Schritt erst ließ sie das Kind röntgen – und entdeckte Frakturen als Spuren körperlicher Gewalt.

Durch den Leitfaden wird den ÄrztInnen auch mit auf den Weg gegeben, wie sie sich nach der Diagnose verhalten können: Besonders wichtig sei, so der Rechtsmediziner Klaus Püschel, dass sie nicht verpflichtet sind, die Polizei einzuschalten. Statt dessen sollen die ÄrztInnen Kontakt zu Kinderschutzorganisationen oder sozialen Diensten herstellen. Denn „ein Täter, der einmal von der Polizei verfolgt wurde, wird es das nächste Mal nicht sein lassen, sondern geschickter machen“.

Erst in einem letzten Schritt werden die Kinder aus der Familie herausgenommen, in der sie Gewalt erfahren haben. Zuvor sollen die Eltern bei der Bewältigung ihrer Probleme unterstützt werden. Sagt Sozialsenatorin Roth. Der Senat hat die ambulanten „Hilfen zur Erziehung“ gerade aus Kostengründen erheblich beschnitten – nur in Ausnahmefällen werden Familien noch unterstützt. Elke Spanner