Die Marktlücke heißt Brahms light

■ Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen geht angesichts finanzieller Einschnitte im Kulturhaushalt eigene Wege: Eine Gratwanderung zwischen Kunst und Marketing

Es waren MusikstudentInnen, denen vor 20 Jahren eine der bedeutensten Pionierleistungen in der deutschen Musikszene gelang: 1980 spalteten sich einige Mitglieder des Studentenorchesters „Junge Deutsche Philharmonie“ ab und gründeten das „Kammerorchester der Jungen Deutschen Philharmonie“. Mittlerweile hat sich das Orchester, das sich heute Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen nennt, einen Weltruf erspielt.

Der Preis dafür ist die hohe Zahl der Nachahmer. Die Kammerphilharmonie muss sich einer Flut von Namensvettern erwehren: Junge Kammerphilharmonie Freiburg, Bayerische Kammerphilharmonie, Kammerphilharmonie Berlin ... ein wahrer Gründungs-Boom an zwitterhaften Orchestern aus Kammermusik und Philharmonie ist da in den vergangenen Jahren zu beobachten. Um den Lohn der Leistung nicht völlig aus den Händen gleiten zu lassen, ließ man nun immerhin den vollen, sich aus vier Wörtern zusammensetzenden Namen schützen. Namen kann man schützen, für die Sicherung der Zukunft jedoch ist weit mehr nötig als ein Gang zum Patentamt. Und die Leute von der Kammerphilharmonie arbeiten jetzt hart daran, auch weiterhin Pioniertaten zu vollbringen.

In Zeiten, in denen kaum höhere Beträge von Senatszuschüssen zu erwarten sind, gilt es, eine Gratwanderung zwischen künstlerischen Vorstellungen und Marketingstrategien zu schaffen. Schließlich wird Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen von der Stadt mit nur 1,8 Millionen Mark im Jahr bezuschusst. Sechzig Prozent des 5,5 Millionen Mark umfassenden Jahresetats müssen sie somit selbst einspielen. Und seit sechs Jahren müssen die Orchestermitglieder für das gleiche Gehalt auftreten. Auch aus CD-Produktionen sind keine Einnahmen mehr zu erwarten: Der klassische Tonträgermarkt befindet sich in einer tiefen Krise, Honorare für Einspielungen werden von den Plattenfirmen kaum noch bezahlt. Und im Gegensatz zu Popstars behält der Plattenkonzern die Rechte an der Produktion – die Künsler gehen leer aus. Allein die Hoffnung auf Imagegewinn treibt sie noch in die Aufnahmestudios.

Stellvertretend für die dringend benötigte Aufbruchstimmung steht seit Oktober vergangenen Jahres ein neuer Name: Chefdirigent Daniel Harding, der einen Drei-Jahres-Vertrag mit zweijähriger Option auf Verlängerung unterzeichnete. Die feste Bindung des Youngstars wurde unter künstlerischen Gesichtspunkten mit dem „großen harmonischen Zusammenspiel“ zwischen Harding und dem Orchester begründet. Entscheidend für die Verpflichtung waren aber vor allem auch Marketingaspekte; die bisherige Vielfalt in der Auswahl der Gastdirigenten mag zwar künstlerisch eine Bereicherung gewesen sein. Hinsichtlich der Vermarktung indes erwies sich diese Strategie als unbrauchbar: Die Kammerphilharmonie konnte so kein klares Profil gewinnen, es fehlte die Symbolfigur. Dass dies von den Künstlern bisher unterschätzt wurde, räumt Geschäftsführer Albert Schmitt ein; zu lange habe man im Elfenbeinturm gesessen und geglaubt, Geld spiele nur eine untergeordnete Rolle.

Nach der Entscheidung für einen musikalischen Direktor wurde nun gemeinsam mit USC, einem Beraterteam für Marketing, auch ein langfristiges Konzept entwickelt mit dem angestrebt wird, künstlerische und wirtschaftliche Interessen miteinander zu verbinden. „Stream-lining“ heißt das Zauberwort: Ein Leitfaden, welcher dem Orchester zu einer klaren Identität verhelfen soll. Ganz oben stehen da die Projekte mit Daniel Harding, vor allem Einstudierungen von Brahms, Beethoven und zeitgenössischer Musik. Insbesondere gering besetzte Interpretationen von Brahmssinfonien stellen eine kulturelle Marktlücke dar. Als erstes Orchester will die Kammerphilharmonie Brahms-Sinfonien in der gleichen kleinen Besetzungaufführen, wie sie auch dem Komponisten selbst seinerzeit zur Verfügung stand und somit ein ganz neues, gleichwohl „echteres“ Hörerlebnis bieten: Eine Renaissance der kammermusikalischen Interpretation nach Jahrzehnten des Wettrüstens großer Sinfonieorchester.

Dass Not erfinderisch macht, stellt die Kammerphilharmonie seit ihrem Umzug von Frankfurt nach Bremen 1992 immer wieder unter Beweis. In gemeinsamen Projekten mit der Bremer Shakespeare Company und dem Universitätsinstitut CeVis (Centrum für Complexe Systeme und Visualisierung) geht sie seither neue Wege, um bei Jugendlichen das Interesse für klassiche Musik zu erwecken. Schulveranstaltungen und Orchesterwork-shops sind so mittlerweile feste Bestandteile der Bremer Kulturszene geworden. Auf diese Weise hofft das Orchester, die Existenz seines zukünftigen Publikums zu sichern. Damit die Kammerphilharmonie dann aber später tatsächlich von dem erarbeiteten Imagegewinn profitieren kann, gilt es, die Entwicklung der Zukunftstechnik im Auge zu behalten. Schon jetzt wird von der Internetfirma „Movie Pictures Experts Group“ (MPEG) ein kostengünstiger aber hochwertiger Musiktransfer auf den heimischen Computer ermöglicht. Deren Kompressionsverfahren MP3 erlaubt, die Musik fast in CD-Qualität und ohne großen Platzverbrauch zu speichern. Mit Blick auf diese mediale Entwicklung wird das Orchester nun die Rechte an seinen Einspielungen sichern. In ferner Zukunft, wenn Musik im Internet für ein paar Mark zu bekommen sein wird, kann die Kammerphilharmonie dadurch anstelle der Plattenfirmen selbst von dem Verkauf ihres Produkts profitieren.

So ist Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen 20 Jahre nach ihrer Gründung erneut Pionier für kulturelles Management der Zukunft. Es wäre wünschenswert, wenn auch diese Leistung wieder Einfluss auf die gesamte Orchesterszene hätte. Angesichts der finanzpolitischen Entwicklungen wäre das dringend nötig, wenn das Angebot an klassischer Musik auf höchstem Niveau gesichert werden soll. Johannes Bruggaier

Zurzeit ist die Kammerphilharmonie beim Weill-Festival in Bremen zu erleben. Konzert heute, Freitag, 19 Uhr in der Glocke mit den Solis-tInnen Gisela May und Stefanie Wüst sowie Willem Breuker (der vom Kollektief)